berliner szenen: Ist schließlich Berlin
Ich steh vorm Tanzstudio, Probestunde, bezahle. Die Person hinterm Tresen gibt mir Wechselgeld raus, und als ich sag, dass ich noch nie hier war, zeigt sie mir auch, wo was ist: die Klos den Gang runter, Kursraum geradeaus, Umkleide rechts. Zwei Türen gibt’s da: die erste für Damen, die zweite für Herren. Sie zeigt auf die erste. „Damen da!“, sagt sie.
„Ja“, sag ich und folge ihrem deutenden Finger, ganz brav. In der Umkleide dann aber werd ich sauer. Nicht sofort; sauer werden dauert bei mir ’n bisschen – ungefähr so lange, bis ich zur Hälfte umgezogen bin. Hose und Schuhe hab ich bereits gewechselt, als es mir aufstößt, was da gerade schon wieder geschah: Da hat erneut wer anders bestimmt, dass ich ’ne Frau bin! Krass, denk ich. Wo sind wir denn hier? Ich dachte: Berlin! Also: Was denkt die sich eigentlich, dass sie mich dahin schickt, wo ich ihrer Meinung nach hingehöre? Und wieso bin ich dem auch noch widerspruchslos gefolgt? So geht das ja wohl echt nicht hier! Also raff ich meine Sachen zusammen, geh raus aus der Damenumkleide und in die Herrenumkleide gleich nebenan rein.
Als ich da dann den Rest von mir umzieh, überlege ich weiter: Wär ich auch in die Damenumkleide gegangen aus Protest, wenn ich zuerst zu den Herren geschickt worden wär? Glaub schon, vermute ich, aber dann wiederum. So richtig sicher bin ich mir nicht. Ich seufze, ganz laut.
Der neben mir schaut mich an, mich, meine Brust; dann schnell wieder weg. „Oh“, sag ich. „Ich hoff, das ist okay, dass ich hier bin.“ – „Mach, was du willst.“ Er zuckt mit den Schultern, grinst. „Ist schließlich Berlin.“ – „Ist schließlich Berlin“, wiederhol ich, grinse zurück. Und dann seufz ich noch mal: Wenn doch die ganze Welt so wär wie hier, in diesem Moment, in der Herrenumkleide in Berlin. Hach ja!
Joey Juschka
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