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Archiv-Artikel

Alle gegen die Arbeitsministerin

RENTE Ursula von der Leyens Konzept der Zuschussrente stößt auf scharfe Kritik in den eigenen Reihen. Doch die Vorwürfe der Opposition klingen pflichtschuldig. Schließlich vertreten SPD und Grüne ganz ähnliche Ideen

„Die Zuschussrente baut große bürokratische Hürden auf“

WOLFGANG STRENGMANN-KUHN, GRÜNE

AUS BERLIN ULRICH SCHULTE

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat es im Streit über die Zuschussrente am Montag vermieden, sich hinter das Konzept von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen zu stellen. „Es ist richtig, dass die Arbeitsministerin den Blick auf das Problem der Altersarmut wirft“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Das Thema müsse „umfassend und systematisch“ behandelt werden. Nun prüfe die Regierung, ob die von der Arbeitsministerin vorgeschlagene Zuschussrente „diese systematische Antwort auf das Problem ist“, sagte Seibert.

Bei ihrem neuesten Projekt weht der Arbeitsministerin der Wind heftig ins Gesicht: Nicht nur die Opposition positionierte sich gegen die Zuschussrente, auch innerhalb der Union wurden kritische Stimmen laut. Ihr Vorschlag zielt auf Niedrigverdiener, die jahrzehntelang gearbeitet haben, im Alter aber dennoch auf die Grundsicherung angewiesen wären. Die Ministerin möchte ihre Rente auf 850 Euro im Monat aufstocken – die Grundsicherung liegt bei 688 Euro. Allerdings schweben von der Leyen hohe Hürden vor: Berechtigt wären zum Beispiel Rentner, die bis 2022 in den Ruhestand gehen und mindestens 30 Beitragsjahre vorweisen können.

Das Arbeitsministerium untermauerte die Idee mit einer Zahlenreihe. Sie belegt, dass keineswegs nur Niedrigstlöhner künftig von Altersarmut betroffen sein könnten (siehe Tabelle). So müssten laut Ministerium Arbeitnehmer etwa 2.500 Euro brutto im Monat verdienen und 35 Jahre Vollzeit arbeiten, um im Jahr 2030 eine Rente auf Grundsicherungsniveau zu erhalten. Ihre Berechnungen schickte die Ministerin auch an die Junge Gruppe der Unions-Fraktion.

Dort sehen mehrere Abgeordnete die Zuschussrente kritisch. Der 32-jährige CDU-Sozialpolitiker Jens Spahn sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, eine Zuschussrente zementiere das bestehende Rentensystem zulasten der Jüngeren. „Warum sollen die Jüngeren für die Zuschussrente nun noch einmal mehr in ein Rentensystem zahlen, dessen Legitimität ohnehin an seine Grenzen stößt, wenn man nach 35 Jahren nur Sozialhilfeniveau erreicht?“ Auch Vertreter des CDU-Wirtschaftsflügels und der Chef der Jungen Union, Philipp Mißfelder, kritisierten die Pläne. Bei einem Treffen will die Ministerin die jungen Abgeordneten am Mittwoch überzeugen. Sie könnte gleich ein paar mehr Termine vereinbaren. Denn auch die FDP sträubt sich: Generalsekretär Patrick Döring nannte die Berechnungen der Ministerin am Montag nicht unbedingt realistisch. Döring warf von der Leyen eine „mediale Selbstinszenierung“ vor.

Auch aus der Opposition kam Kritik – die allerdings manchmal fast pflichtschuldig klang. Denn sowohl SPD als auch Grüne prüfen Konzepte, die zumindest im Grundgedanken ähnlich sind. „Die Zuschussrente ist nichts anderes als eine neue Sozialhilfe“, sagte Grünen-Rentenexperte Wolfgang Strengmann-Kuhn. „Sie würde Betroffene wie bei Hartz IV durchleuchten und baut große bürokratische Hürden auf.“ Die Grünen wollen eine Garantierente von rund 850 Euro einführen. Sie soll auch Niedrigverdienern mit langjährigen Erwerbsbiografien ein Rentenniveau über der Grundsicherung ermöglichen, allerdings ohne bürokratische Prüfung und hohe Hürden.

Bei den Sozialdemokraten tüftelt derzeit eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von SPD-Chef Sigmar Gabriel ein Rentenkonzept aus. In den vergangenen Wochen sickerte das Stichwort einer „Solidar-Rente“ durch – wer 40 Jahre Vollzeit gearbeitet hat, bekäme eine Rente von 850 Euro im Monat. Auch dies läge nahe an von der Leyens Plänen. Linkspartei-Rentenexperte Matthias Birkwald nannte die Zuschussrente einen „Etikettenschwindel im Kampf gegen Altersarmut“. An den Zugangshürden würden die meisten scheitern. Die Linke schlägt eine solidarische Mindestrente von 1.050 Euro netto vor. Das ist deutlich mehr als die Konkurrenz: Die 850 Euro der Arbeitsministerin und der Grünen sind brutto.

Gesellschaft + Kultur SEITE 14