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Jasmin RamadanEinfach gesagtNur scheißgute Menschen

Foto: Roberta Sant'anna

Das kann doch nicht sein, dass mein Medikament nicht lieferbar ist, junge Frau!“, sagt der ältere Herr am Freitagabend in der Altonaer Bahnhofsapotheke.

„Doch, das haben wir jetzt häufig, das ist ein bekanntes Problem.“

„Ich bin extra hierher gekommen, weil ich es dringend brauche, heute noch.“

Die Apothekerin zuckt die Schultern, die Schlange hinter dem Mann ist lang. Eine Frau mischt sich ein: „Als wären wir ’ne Bananenrepublik, was ist denn da los?!“

„Das liegt an der Globalisierung“, sagt die Apothekerin, und ein junger Typ: „Bananenrepublik ist ein rassistischer Begriff, aber im Prinzip ist was dran, es geht nämlich um Einzelinteressen von Pharmakonzernen und ihre exklusiven Lizenzen!“

„Wenn die Lieferprobleme haben, kommt es weltweit zu Engpässen“, schnauft die Apothekerin.

„Wie jetzt?“, fragt die Frau. „Das ist ja ein Unding. Wir hier in Deutschland werden dann nicht mehr beliefert, obwohl wir überall auf der Welt draufzahlen und investieren, werden wir hier behandelt wie die Hottentotten in Timbuktu?“

Der junge Typ sagt: „Jetzt hören Sie mal auf, hier so rassistisch rumzulabern, ist doch nur gerecht, wenn die ganze Wirtschaftsraffgier auch mal auf uns zurückfällt, da sehen die Wohlstandsärsche hier mal, wie man sich fühlt, wenn nicht immer alles in zehnfacher Auswahl vorrätig ist.“

Die Frau ruft der Apothekerin zu: „Was ist denn mit Ibu? Haben sie das da? Sonst brauch’ich hier gar nicht meine kostbare Zeit verplempern.“

„Das haben wir da, aber da gab es auch schon Engpässe.“

„Na, das wär’ja was“, sagt die Frau, „wenn es das nicht mehr gibt, dann kann ja die Hälfte vom Volk bald nicht mehr regelmäßig zur Arbeit gehen und dann bricht hier alles zusammen.“

Der ältere Herr fragt: „Aber was mach’ich denn nun?“

„Versuchen Sie es in der Notaufnahme.“

Die Frau sagt: „Da wird man ja auch nur noch behandelt wie in einem Dritte-Welt-Land, weil da ständig unsere ganzen neuen Ausländer aus den Kriegsländern hinrennen, weil die das nur so kennen, da gibt es nur noch halb weggebombte Krankenhäuser in der Walachei, weil die feinen Ärzte schon längst außer Landes sind. Meine Schwiegertochter ist Krankenschwester, die sagt, die kommen immer mit der ganzen Großfamilie und wollen den ganzen Warteraum einnehmen. Mit Deutschland geht es zu Ende.“

Der Typ sagt: „Wissen Sie was, ich gönne Ihnen die Kopfschmerzen, ich hoffe, Sie werden sie nie wieder los.“

„Ach ja, du Jungspund? Und was ist dein Wehweh? Dass du ein zu guter Mensch für diese Welt bist?“

„Ich hab bloß einen Kater und brauche ein hochdosiertes Vitamin-C-Präparat.“

„Dann iss’doch einfach eine Apfelsine. Hier, ich geb’dir eine, ich war gerade einkaufen, ich bin nämlich kein schlechter Mensch.“

„Danke, aber ich nehme keine Orangen von Rassisten.“

Sie wirft ihm die Frucht mit Wucht an den Kopf, er stolpert und ruft: „Sind Sie völlig verrückt?“

„Nein, nur ein scheißguter Mensch!“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

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