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Archiv-Artikel

Dürren in immer kürzeren Abständen

KLIMAWANDEL Die Region am Horn von Afrika ist besonders von Hunger und ausbleibendem Regen betroffen

AUS NAIROBI MARC ENGELHARDT

Achmed Khalif ist auf seiner Suche nach Wasser und Weideland weit gewandert. 200 Kilometer hat er zurückgelegt von seinem Hof in Habaswein im Nordosten Kenias bis an die Grenze zu Somalia. Als er seine Reise vor vier Monaten antrat, besaß Khalif eine Herde von 200 Rindern und Ziegen. Jetzt sind es noch 70, der Rest ist verdurstet oder an Hunger eingegangen. „Ich hätte genauso gut hierbleiben können“, stöhnt der Vater von zehn Kindern resigniert. „Hier oder dort, überall gibt es nichts als Tod.“ Khalifs Kindern geht es schlecht, die Familie muss mit zwei Litern Wasser pro Kopf und Tag auskommen – weniger als eine Toilettenspülung. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, klagt der 44-Jährige. „Ich kannte solche Geschichten nur aus Überlieferungen.“ Die Aufzeichnungen des kenianischen Wetteramts sprechen für sich: In den vergangenen drei Jahren wurden in Wajir, dem Zentrum der Region, gerade einmal 30 Millimeter Niederschlag gemessen.

Dabei sind die Bewohner des ariden Nordens von Kenia ebenso wie ihre Nachbarn in Somalia und Äthiopien Not gewohnt. Wer in den staubigen Ebenen lebt, deren Eintönigkeit allenfalls von Dornengestrüpp und Geröll unterbrochen wird, muss selbst in guten Zeiten streng haushalten. Doch jetzt sind die Zeiten schlecht, so schlecht wie lange nicht. 23 Millionen Menschen, so bilanziert das Welternährungsprogramm der UNO (WFP), sind am Horn von Afrika akut von Hunger bedroht. Vier Millionen Kenianer sind demnach auf Nothilfe als einzige Nahrungsmittelquelle angewiesen, die Regierung in Nairobi schätzt die Zahl der Notleidenden sogar auf 10 Millionen. In Äthiopien sind es fast 14 Millionen, die Nahrungsmittelhilfe brauchen. Das ist nahezu ein Fünftel der Bevölkerung. Am schlimmsten geht es den Menschen in Somalia: Jeder zweite Somali, 3,8 Millionen, leidet Hunger.

„Seit dem Sturz der somalischen Regierung vor achtzehn Jahren war die Lage nicht so schlimm“, sagt Paul Smith Lomas von der Hilfsorganisation Oxfam. „Nomaden sind Tage unterwegs, nur um Wasser zu finden, und wo die Dürre nicht zuschlägt, machen die anhaltenden Kämpfe Ackerbau unmöglich.“ In Gegenden, in denen Islamisten und Somalias zunehmend machtlose Regierung sich die schwersten Gefechte liefern, können selbst UNO und Hilfsorganisationen nur eingeschränkt helfen. Nachdem mehrere Mitarbeiter von somalischen Hilfsorganisationen in diesem Jahr regelrecht hingerichtet wurden, trauen sich selbst die einheimischen Helfer nicht mehr in die Kampfzonen. In Vertriebenenlagern wie dem von Afgooye am Stadtrand von Mogadischu sind die Menschen deshalb auf sich selbst angewiesen. Fast eine halbe Million Vertriebene sind in Afgooye auf einem Stück Land zusammengepfercht, das sich 15 Kilometer entlang der Hauptstraße erstreckt. „Das ist die dichteste Konzentration von Vertriebenen weltweit“, so Smith Lomas.

Doch obwohl der Dauerkonflikt den Hunger in Somalia verschlimmert, allein verantwortlich dafür ist er nicht. Sool, ein Hochplateau fast an der äußersten Spitze des Horns, ist hunderte Kilometer von der aktuellen Front entfernt. Und doch ist die Lage fatal. „Es hat sogar ein wenig geregnet“, berichtet Achmed Awdahir, Bürgermeister der Gemeinde Lassanod. „Aber ich muss meinen Verwandten auf dem Land immer noch Nahrung und Viehfutter zukommen lassen, weil das meiste Vieh in den vergangenen Jahren gestorben ist – es gibt keine Reserven mehr, von denen sie zehren oder die sie verkaufen könnten.“

Ähnlich sieht es in der am stärksten vom Hunger betroffenen Region Äthiopiens aus, die von ethnischen Somalis bewohnt wird und an Sool grenzt. „Schon im Frühjahr ist so viel Vieh gestorben, dass die Dörfer von stinkenden Kadavern umringt waren“, weiß WFP-Sprecher Peter Smerdon. „Die Menschen haben mit den Rindern und Kamelen nicht nur ihr Kapital, sondern ihre ganze Lebensgrundlage verloren.“

„Die Dürren häufen sich“, beobachtet Philippa Crosland-Taylor von Oxfam. „Was wir hier sehen, sind die Auswirkungen des Klimawandels, die ausgerechnet diejenigen treffen, die am wenigsten zu seiner Entstehung beigetragen haben.“ Dürren, die in solchem Ausmaß früher in jeder Generation vielleicht einmal aufgetreten seien, kämen inzwischen alle zwei bis drei Jahre vor. Am schlimmsten ist die fehlende Verlässlichkeit der einst so regelmäßigen Abfolge von Trocken- und Regenzeit: Gerade in den trockenen Halbwüsten, wo die Erträge ohnehin kärglich sind, wird Landwirtschaft fast unmöglich – denn Bewässerungssysteme gibt es nicht. Wo selbst der nomadische Viehtrieb, die Antwort auf knappe Ressourcen, unmöglich wird, gibt es auch sonst kaum noch etwas zu holen.