berliner szenen
: Verstummen vor dem Sturm

Bei einem Sommersturm rauszugehen und unter einem Dach sich das draußen anzugucken, das habe ich von meiner Mutter, die das von ihrem Vater hatte. Ich habe als Kind die Situation oft beobachtet: Sie machten zuerst alle Fenster auf und dann gingen sie raus und standen in der Dunkelheit auf der Veranda mit dem Blick zum Himmel gerichtet.

Ich aber blieb drin, weil ich Angst vor Hurrikanen hatte. Ich hatte tausendmal die Geschichte gehört von einem Hurrikan, der im Jahr meiner Geburt durch die Vorstadt, in der wir wohnten, gezogen war. Vor einem Sturm war ich immer aufgeregt, wie die Tiere.

Auch Jahrzehnte später in Berlin fühle ich den Druck vor einem Sturm in meinem Körper, und manchmal träume ich noch von Hurrikanen, die am Horizont zu sehen sind. Doch als Erwachsene gehe ich jetzt raus und gucke mir das Stürmen an. Ohne Handy, ohne Musik zu hören oder etwas anderes zu machen. Ich bin nur des Sturms wegen da und warte. Ich bin erleichtert, wenn es endlich losgeht. Gerade sitze ich auf meinem Balkon und der Himmel wird auf einmal dunkel. Der Baum beugt sich im plötzlichen Wind. Die Vögel verstummen. Abends sitzen sie immer auf dem Baustellenkran, der über meinen Hinterhof guckt, und machen Lärm.

Nun aber sind sie wie auf Kommando still. Apokalyptisch, sage ich mir. Was wird jetzt passieren?, frage ich mich. Kurz fehlt mir die Luft und die kindliche Angst kommt hoch, aber die ist schnell wieder weg. Es passiert auch nichts: Es blitzt ein- oder zweimal, es donnert, es fängt an zu regnen und es riecht nach den Tropfen. Dann denke ich nur noch an meine Pflanzen, die keine Angst empfinden und dringend das Wasser brauchten. Sie freuen sich bestimmt, auf eine pflanzliche Art und Weise, gleich nass zu werden. Luciana Ferrando