Die Schöne und das Schlaue

Zwischen verkannter Forscherin und Sexsymbol: Eine Retrospektive zeigt das Werk des Hollywood-Stars Hedy Lamarr, die lange als „schönste Frau der Welt“ galt

„Jedes Mädchen kann glamourös sein, es muss nur stillstehen und dumm gucken“, sagte einst Hedy Lamarr, hier im Film „Heavenly Body“ (1944) Foto: Warner Bros.

Von Carolin Weidner

Dass die Höhepunkte von Hedy Lamarrs Karriere eng mit einer Filmindustrie verwoben sind, die es heute gar nicht mehr gibt, beweist Cecil B. De­Milles Film „Samson and Delilah“ (USA 1949). Fünf Minuten nach Beginn ist nämlich erst einmal überhaupt nichts zu sehen. Aber zu hören. Das Eröffnungsbild proklamiert „Overture“. So gleitet man auditiv in den Bibel­epos, in dem eine Lamarr zu sehen ist, von der es heißt, „ihre Möglichkeiten reichen ins Monumentale“. Über die Möglichkeiten Hedy Lamarrs, die 1914 als Hedwig Maria Kiesler in Wien geboren wurde, herrscht indes Uneinigkeit.

Worin jedoch alle, die sich über Lamarr äußern, übereinstimmen, ist die Schönheit der Schauspielerin: grazil und auf der Leinwand auch recht groß wirkend, eine schmale Nase, große Augen und auf dem Kopf ein strenger Mittelscheitel, den die Stylisten Hollywoods ihr zum Markenzeichen zogen. Sie galt damals als der Inbegriff von Anmut.

Einige halten Hedy Lamarr für genial. Sie hat sich auch als Erfinderin hervorgetan: Gemeinsam mit dem Komponisten George Antheil entwickelte sie eine spezielle Technik, mit der sich Torpedos über Funkfernsteuerung bedienen ließen. Man munkelt, die Pläne für ein solches Frequenzsprungverfahren, auf dem auch Bluetooth und GSM basieren, hätte Lamarr mit im Koffer gehabt, als sie 1937 Österreich, wo sie mit einem schwerreichen Waffenfabrikanten verheiratet war, verließ, um über Großbritannien in die USA überzusiedeln.

Eine Europäerin bleibt sie auch in zahlreichen Produktionen. In Joseph H. Lewis’ „A Lady Without Passport“ (USA 1950) spielt sie die Buchenwald-Überlebende Marianne Lores, die in Havanna engen Kontakt zum Anführer eines Schmuggelrings pflegt, der illegalen Emigranten über die US-Grenze hilft. Das funktioniert so lange, bis es zu einem Todesfall kommt, auf den Pete Karczag (John Hodiak) von der US-Einwanderungsbehörde angesetzt wird. Natürlich ist er, wie eigentlich alle in Havanna, die Lores erblicken, sofort entflammt und begleitet die Fremde durch eine Stadt, deren Nächte – es wird an keinem Klischee gespart – von heißblütigen Tänzerinnen und Schmiergeldtransaktionen bestimmt sind.

Im großartigen Film „Ziegfeld Girl“ (USA 1941) von Robert Z. Leonard und Busby Berkeley unterscheidet sich Hedy Lamarr abermals von ihren US-amerikanischen Kolleginnen. Nicht zuletzt aufgrund ihres Verlobten aus Deutschland, Franz, der mit seiner Violine nicht ansatzweise an den Glamour heranreicht, wegen dem Lamarr, die hier Sandra heißt, zu einer von Florenz Ziegfelds neuen Showgirls auserkoren wird.

Die Chance, ein solches Ziegfeld Girl zu werden, und damit spielt der Film so genüsslich wie diabolisch, eröffnet mehrere Ausgänge: die Mädchen können große Stars werden, denen alle zu Füßen liegen; sie können eine gewisse Zeit ordentlich verdienen und dann als die braven Frauen, die sie eigentlich sind, aus dem Show-Betrieb ausscheiden, um sich doch für die eheliche Erfüllung und ein moralisch angepassteres Leben entscheiden; oder, und davon leben natürlich die Klatschsparten in der Tagespresse, sie fallen vom Star-Himmel wie Sternschnuppen, von denen sich eigentlich niemand mehr etwas wünscht, außer, dass der Aufprall möglichst spektakulär ausfallen möge.

In „Ziegfeld Girl“ werden jene schicksalhaften Entscheidungen unter Judy Garland, Lana Turner und eben Hedy Lamarr aufgeteilt. Wobei die Frau, für die der Film den Abgrund vorgesehen hat, immerhin mit den besten Lebensweisheiten versorgt wird. Das wird sie freilich nicht davor bewahren, bald als abgerissene Alkoholikerin in einer Spelunke zu hocken. Etwa: „You’ve got two guys but only one address – it won’t work out.“

Dass auch Hedy Lamarr unter dem Showbusiness und insbesondere unter Louis B. Mayer, Kopf der gewichtigen Metro-Goldwyn-Mayer-Studios – zu dessen Schaupielerinnen-Equipe sie zählte – litt, wird in dem Dokumentarfilm „Hedy Lamarr. Secrets of a Hollywood Star“ (CH/D/CA 2006) von Donatello Dubini sichtbar. Er ist wunderbarerweise ebenso Teil der Reihe im Zeughauskino, das dieser Tage eine ausladende Hommage ausrichtet.

In der Dokumentation tauchen nicht nur einige auskunftsfreudige Wegbegleiter und vermeintliche Freunde in Erscheinung, sondern auch Hedy Lamarr selbst, in gleichsam entrückter wie reflektierter Verfassung. Als ausnehmend sicherer Anekdoten-Lieferant erweist sich Kenneth Anger, der von ihrem verschmutzten New Yorker Apartment berichtet, welches sie als alternde Dame behaust haben soll. Gar nicht einverstanden ist Anger hingegen mit Andy Warhols „Hedy“ von 1966, ebenfalls im Zeughauskino zu sehen, in dem Lamarr, nachempfunden von Mario Montez, Ladendiebstähle begeht. Auch das irgendwie: monumental.

Retrospektive Hedy Lamarr: Zeughauskino, 8. 8.–22. 9., Mehr Infos unter www.dhm.de