: Unter Sternen
Seit 15 Jahren gibt es das 3001-Kino im Hinterhof der Schanzenstraße. Fünf Gesellschafter betreiben als Kollektiv das Filmtheater, teilen sich Arbeit, Einnahmen und Ehre: Rainer Christ ist einer von ihnen
Von Carolin Ströbele
Im Büro des 3001 steht eine Topfpflanze, die diesen Namen eigentlich nicht mehr verdient. Seitlich ausgedünnt streben die dürren Triebe an der staubigen Fensterscheibe entlang zum Licht. „Die hat schon alles überlebt“, sagt Rainer Christ und lacht. „Manchmal kriegt sie wochenlang nichts zu saufen.“
Christ, Betreiber des 3001-Kinos, ist auch so ein Gewächs: Er hat Augen, die schon viel gesehen haben, und zwar nicht nur hunderte von Filmen. Aber wenn er von einem Film erzählt, der ihn berührt hat, dann funkeln diese Augen unter den schweren Lidern hervor. Vor mehr als 15 Jahren eröffneten Christ und sein Partner Jens Meyer das 3001 im Hinterhof zwischen Bartels- und Schanzenstraße. Sie bauten die Theke, die Wendeltreppe zum Vorführraum, verewigten ihr Idol W. C. Fields mit einem „Hollywood“-Stern im Foyerboden und schraubten die zahlreichen „Sternen“-Lichter an die Decke des Saals – „das erste Viertel noch nach einem Sternenatlas“, erzählt Christ. „Dann sind uns die Nerven ausgegangen und wir haben einfach Löcher reingebohrt, wo es ging.“
Auf die Frage, was er vor dem Kino gemacht habe, grinst der 52-Jährige und antwortet: „Das variiert zwischen nichts, ein Kinderheim betreiben und eine Bierkneipe in Cuxhaven.“ Der erste Schritt zum eigenen Filmtheater war das „Duckenfeld“ in der Oelkersallee – ein „Hinterzimmerkino“, wie er heute sagt. Das 3001 hat sich – wohl auch durch seine Lage inmitten des Schanzenviertels – längst etabliert: Ein kleines Programmkino mit einigen Publikumsmagneten und vielen Filmen, so Christ, „die fürs Abaton zu klein, zu abseitig oder zu waghalsig“ sind.
„Wir sind auf einem hohen Niveau angelangt und haben das auch gehalten“, resümiert er. „Für ein Kino mit knapp 100 Plätzen ist das schon eine reife Leistung.“ Ein gutes Gespür haben die Betreiber auch mit dem Open-Air-Kino gezeigt: zunächst im Schanzenpark, seit dem vergangenen Jahr dann im Millerntorstadion. In diesem Sommer war die Nachfrage so groß, dass sie sogar um fünf Tage verlängert haben.
Mit der Hamburger Film- und Filmerszene hat Rainer Christ nicht viel zu tun. Man sehe sich halt auf Festivals. Ansonsten bezieht er sich auf ein Sprichwort, das sagt: Kino ist die Kunstform für die Einsamen. Sein Lieblingsfestival sei Rotterdam, erzählt Christ, denn das sei ein ausgesprochenes Publikumsfestival. „Ich bin zu alt für diese ganze Glamour-Idee. Mir ist es völlig egal, ob Leonardo Di Caprio anwesend ist oder nicht.“
Was Christ mitnimmt von den Festivals, sind die Anregungen, die dann das neue Programm bilden. Das klingt wie ein Traumjob, aber man werde „im Laufe der Jahre ein bisschen müder“, sagt Christ. Er müsse schon zugeben, dass sich seine Sehgewohnheiten geändert hätten. „Kommerzialisierung des Wahrnehmens“ nennt Christ, was im Endeffekt aber einfach das Bestreben ist, den Laden am Laufen zu halten. So ist das eben, wenn man seinen Traum zum Beruf macht.
Dennoch will sich Christ seine Spontaneität bewahren: „Kino hat mit Kindlichkeit zu tun“, sagt der Mann, der sich schon als kleiner Junge „illegal nachmittags um halb vier in die Kindervorstellung geschlichen hat, weil meine Eltern dachten, ich solle mal lieber Fußball spielen“. Der Film, der ihn endgültig zum Cineasten gemacht habe, war Roman Polanskis Wenn Katelbach kommt, erzählt der Kinobetreiber: eine „existenzialistische Geschichte über zwei Gangster, die auf der Flucht in ein Schloss geraten, das dann von der Außenwelt abgeschnitten wird“. 18 sei er da etwa gewesen – und habe „natürlich nicht verstanden“, was er gesehen habe.
Zwischen den „albernen Sexfilmen“ und „enormen Blockbustern“ der 70er Jahre – wie Sergio Leones Spiel mir das Lied vom Tod – habe er „angefangen, zu begreifen, dass man mit Film mehr machen kann als Budenzauber.“ Nun lebt er von Filmen, zwar mehr schlecht als recht, aber „wer viel arbeitet, kann auch nicht viel ausgeben“, scherzt er.
Im Büro steht ein Ansichtsexemplar der neuen Kinosessel – in elegantem Blau, mit Nummer auf der Sitzfläche. Aus „ökonomischen Gründen“ muss der Plan allerdings um ein paar Monate verschoben werden. Vorerst bleibt es also bei der bisherigen Einrichtung. Die Topfpflanze wird es schon noch ein paar Jahre machen.
3001, Schanzenstraße 75, ☎ 43 76 79, www.3001-kino.de