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Arbeitsstress oder bloß neue Ehrlichkeit?

Arbeitnehmer*innen fehlen wegen psychischer Leiden heute dreimal öfter als 1997. Warum, ist umstritten

Man könnte beim Blick auf diese Zahlen auf die Idee kommen, die deutsche Gesellschaft hätte über die Jahre einen heftigen seelischen Knacks erlitten: 1997 fiel im Schnitt je­de*r Arbeitnehmer*in rund 0,7 Tage im Jahr aus, weil ein psychisches Problem bei ihm diagnostiziert wurde. Inzwischen fehlen Arbeitnehmer*innen 2,5 Tage pro Jahr wegen Seelenleiden. Die Zahlen hat die DAK-Gesundheit am Donnerstag veröffentlicht.

In ihrem „Psychoreport 2019“ hat die Krankenkasse die Fehltage ihrer Versicherten in den vergangenen 20 Jahren ausgewertet. Demnach haben die Krankschreibungen von Arbeit­nehmer*innen wegen psychischer Leiden im Jahr 2017 einen Höchststand erreicht. Woran liegt das? Wird unsere Arbeitswelt immer brutaler? Oder macht uns der Alltag heute eher psychisch krank als früher?

Nicht unbedingt, findet DAK-Vorstandschef Andreas Storm: „Vor allem beim Arzt-Patienten-Gespräch sind psychische Probleme heutzutage kein Tabu mehr.“ Deshalb werde auch bei Krankschreibungen offener damit umgegangen. Diese Einschätzung wird von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) geteilt. Linke, Grüne und der Deutsche Gewerkschaftsbund verweisen dagegen auch auf einen gestiegenen Arbeitsstress als Ursache.

Über den Gesamtzeitraum der DAK-Untersuchung hinweg fehlten Arbeitnehmer*innen am häufigsten wegen der Diagnose Depression. Dahinter folgen sogenannte Anpassungsstörungen – diese treten zum Beispiel nach schweren Schicksalsschlägen auf oder nach einschneidenden Veränderungen im Leben. Danach kommen neurotische Störungen und Angststörungen. Burn-out spielt dagegen kaum eine Rolle. Seit 2012 habe diese Diagnose im Krankheitsgeschehen deutlich an Relevanz verloren, heißt es.

Unumstritten sei, dass die Enttabuisierung psychischer Erkrankungen einen wesentlichen Anteil am Anstieg der Krankmeldungen habe, sagte eine DGPPN-Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur (dpa). „Dass heutzutage offen über psychische Erkrankungen gesprochen werden kann, ist aus Sicht der DGPPN sehr zu begrüßen.“

Dass es nur daran liegt, dass die Leute heute psychische Probleme eher zugeben, glaubt Jutta Krellmann, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, nicht. Ihrer Ansicht nach ist das Berufsleben stressiger geworden. „Viele Beschäftigte können ein trauriges Lied davon singen. Das darf nicht heruntergespielt werden.“ (dpa)

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