zwischen den rillen: Alte Kumpels maunzen viel
Namenstechnisch fügt sich die neue Band von Jens Rachut in die Reihe der Gruppen ein, in denen der Hamburger Sänger bislang aktiv war. Maulgruppe heißt sie – für den Namen soll Rocko Schamoni verantwortlich sein, wie Rachut Teil des subkulturellen Inventars der Hansestadt. Der Letztgenannte, Mitte 60, Punk vom Haarkranz bis zur Hornhaut, bekannt für seine surreal-schrägen und naturalistischen Texte, singt seit Mitte der Achtziger in Bands, deren Namen nach Dada klingen: Angeschissen, Blumen am Arsch der Hölle, Dackelblut, Oma Hans, Kommando Sonne-nmilch, Nuclear Raped Fuck Bomb, Alte Sau.
Für Maulgruppe hat Rachut seine Schwarzwald-Connection reaktiviert: Frank Otto (Gitarre und Synthesizer) und Markus Brengartner (Schlagzeug, Synthesizer) sind zwei Musiker aus dem Noiserock-Zirkel um die Bands Kurt, Ten Volt Shock und Yass – Projekte, die prägend waren für den deutschen Post-Hardcore.
Auf „Tiere in Tschernobyl“ experimentieren die drei Herren mit Synthesizern; es flirrt, flickert und flackert, mal vorder-, mal hintergründig. Angelegt aber sind die Stücke als flotte Punk-/Noiserock-Nummern. Stakkato-Gitarrenriffs ziehen sich durch die 11 Songs, genauso repetitive Patterns und allerlei Synth- und Gitarren-Effekte. Der Gesang Rachuts – krakeelend, kreischend, aufheulend – legt sich darüber. Man spürt den guten Vibe; es klingt so, wie man es sich vorstellt, wenn alte Kumpels gemeinsame Sache machen. So spackt und freejazzt Rachut am Gesang gerne mal rum, streut in den Zwischenspielen Kampfkunst-Wörter wie „Zackadimozza“ ein, singt in HipHop-Manier „Give it up“ oder beginnt zu maunzen.
Textlich klingt das Werk auch jenseits des Spokenword-Freejazz – „Zwergenbrain springt gleich an / aus Zuckerfett zusammen gerappt“ lauten die ersten Verse – sehr frisch. So beschäftigt sich der Song „Tinderbaby“ mit digitalen Balzverhalten („Wisch mich nicht weg / ich liebe dich“), „Geschwür“ ist eine Reaktion auf #MeToo („Männer tatschen, betasten, ungefragt / Im Dschungel, auch am Tag […] am Merchandise-Stand“), und „Selbstmitleid trinken“ ist schlicht ein zeitloses Lied über Depressionen („Nächtelang / und auch am Tag / geht’s zum Solotanz /Auf den Depressionen / Lebensboden“).
Dass Rachut der Elbphilharmonie nichts Positives abgewinnen kann, geschenkt („die Elphi ist ne blöde Sau / ich würd sie gern erwürgen / Bitte bitte geht nicht rein“, singt er in „Das Volk“) – zustimmen muss man ja nicht. Ein bisschen mehr Offenheit und ein bisschen weniger Scheuklappenpunk wären schön gewesen. Für die politisch-gesellschaftliche Gemengelage dagegen findet der Sänger im Finale „Wie ein Kind“ treffende Worte: „Die Erde dreht sich leise / sie ist alt und digital / draußen sind neue Maler / sie streichen alles braun […] er kommt näher, der Albtraum“.
So zählen diese gut 40 Minuten Musik zum besten Deutschsprachigen, was in diesem Jahr bislang zu hören war. Das liegt aber nicht nur an Textkomponist Rachut. Denn wie bei vielen seiner früheren Bands hat er auch hier hervorragende Musiker am Start, denen man anmerkt, dass sie den Sound, der sie geprägt hat, weiterentwickeln, voranbringen, auf eine neue Stufe heben wollen. Jens Uthoff
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