: Tacheles reden und Tacheles leben
KUNSTHAUSLEGENDE In seinem Film „Unverwüstlich“ zeichnet der Filmemacher Falko Seidel die Geschichte des Tacheles nach
Am Morgen des letzten Dienstags wurde das Kunsthaus Tacheles geräumt. Seinen Rückhalt in der Bevölkerung hatte es schon längst verloren. Nur 50 Unterstützer waren gekommen, um gegen die Räumung zu protestieren. In seinem Dokumentarfilm „Unverwüstlich“ zeichnet Falko Seidel die Geschichte der letzten anarchischen Künstlerbastion in der Mitte Berlins nach.
Anderthalb Jahre hatte der Filmemacher den Kampf der Tacheles-Leute gegen die drohende Zwangsräumung dokumentiert und aus 40 Stunden Film und viel Archivmaterial seinen Film zusammen geschnitten. Seidel ließ sich dabei von der Gründungsidee des Kunsthauses leiten, die von der ostdeutschen Free-Jazz-Gruppe „Tacheles“ ausging. Es ging darum, Tacheles zu reden oder zu leben.
Wie genau alles am Anfang zusammenhing, wird in dem Film nicht so klar und ist vielleicht auch zu kompliziert, um es in einem Film zu klären. Wie etwa die 1977 gegründete Ost-Band Freygang, die 1990 zusammen mit Musikern der DDR-Bands „die Firma“ und „Ich-Funktion“ das Haus in der Rosenthaler Straße 68 besetzt und zum Kulturhaus „Im Eimer“ gemacht hatte, an der Besetzung der Besetzung der ruinösen ehemaligen Friedrichstadtpassage beteiligt war.
Der Film besteht vor allem aus Talking Heads und stimmungsvollen Bildern. Altbesetzer wie Tatianna von Freygang erzählen, wie sie das Haus damals besetzten. Bilder von früher, so ähnlich wie in anderen Dokus über die wilde Wendezeit, aber auch wie in Dokus über Hausbesetzungen in Kreuzberg. Die Geschichte des Hauses, das als Kaufhaus begann und 1990 abgerissen werden sollte, wird von einer Touristenführerin erzählt. Bilder von spektakulären Kunstaktionen auf der Brache vor dem Haus, von Partys. Künstler betonen den Werkstattcharakter; die vielen Besucher gingen ja nicht in eine Galerie, sondern konnten den Künstlern beim Arbeiten zuschauen. Dr. Motte erzählt auch viel und man weiß nicht so recht, wie er mit dem Tacheles zusammenhing.
Der ewige Antagonismus zwischen böser Bank, der HSH-Nordbank aus Hamburg, die mit Steuergeldern gerettet worden war, und Künstlern wird zunächst beschworen, um später auf die Konflikte sprechen zu kommen, die wohl nicht weniger daran schuld sind, dass das Tacheles scheiterte und in seinen letzten Jahren nur wenig Solidarität von außen erfuhr: die Zerstrittenheit der Tachelesleute, der Konflikt zwischen den Betreibern des Cafés und den Künstlern, die sich mit 150 Prozessen bekriegten. Manchmal stutzt man, wenn Leo Kondeyne, der ehemalige Tontechniker der Band Freygang und heutige Dozent des „Kunsthaus e. V.“, sagt: „Als junger Mann standen mir alle Türen offen in der Oppositionsbewegung der DDR.“ Dass der inhaltsreiche Film einen nicht so sehr mitreißt, liegt auch daran, dass man das Gefühl hat, das Tacheles wäre schon lange vor der Räumung erledigt gewesen. Am Ende des Films sagt jemand: „In der Legende ist das Tacheles ein fantastischer Ort. Die Realität sieht anders aus. Die Legende vom Tacheles ist wichtiger für mich.“ DETLEF KUHLBRODT
■ Uraufführung im Sputnik Südstern in Anwesenheit des Filmemachers: „Unverwüstlich – die Geschichte des Kunsthauses Tacheles“ (in deutscher Sprache/with English subtitles), Dokumentarfilm von Falko Seidel, D 2012, 104 Min., HD; Redaktion, Kamera, Schnitt: Falko Seidel, Zweite Kamera (EX1): Daniel Goede, Musik: Leo Kondeyne
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen