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Archiv-Artikel

Mit SMS zu Lessings Nathan

JUBILÄUM Seit 25 Jahren spielt das Theater Strahl für Jugendliche – und bereitet mit ihnen die Stoffe vor, ob klassische Dramen oder aktuelle Stoffe. Ihr Haus in Schöneberg, die „Weiße Rose“, ist längst zu klein

Haben die Proben begonnen, fungieren die Teenager als Korrektiv, ihre Meinung ist wichtig

VON KRISTINA RATH

„‚Das Sextheater‘ haben sie uns genannt“, schmunzelt Theaterleiter Wolfgang Stüßel. 25 Jahre ist es her, dass das Theater Strahl sein erstes Stück auf die Bühne gebracht hat. 1987 thematisierte „Dreck am Stecken“ Sexualität und Aids. Stüßel erinnert sich an die Deutschland-Tournee: „Auf unserem Plakat waren Kondome zu sehen, die an einer Wäscheleine aufgehängt waren. Da fühlten sich viele provoziert.“ Es gab kreative Lösungen: Mal wurden die Präservative fein säuberlich ausgeschnitten, mal überklebt mit Mitteilungen wie „Heute in Darmstadt!“ Stüßel schüttelt den Kopf: „Man hätte meinen können, 1968 hätte es nie gegeben.“

Trotzdem wurde „Dreck am Stecken“ 400-mal gespielt, sogar in Luxemburg und Weißrussland. Was ist das Besondere am Theater Strahl? „Wir sind bundesweit das einzige Theater, das sich ausschließlich an Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren wendet“, erklärt Wolfgang Stüßel, „viele erleben ihre erste Theatervorstellung bei uns.“ Da sei es wichtig, eine Distanz zwischen Publikum und Schauspielern gar nicht erst entstehen zu lassen. Gern lungern die Schauspieler deshalb schon vor dem Beginn der Aufführung im Foyer herum – in ihrer Rolle, versteht sich. Und nach jeder Aufführung gibt es ein Publikumsgespräch mit den Darstellern.

Mehr als ein Publikum

Am 22. August war das ausnahmsweise anders: Da feierte das Theater Strahl Geburtstag und hatte 200 Berliner SchülerInnen eingeladen. Nach der Aufführung des Stücks „Klasse Klasse“ gab es Workshops zum Thema „Theater der Zukunft“. Unter der Leitung des deutschen Beatbox-Meisters Daniel Mandolini, genannt Mando, schrieben die Jugendlichen eigene Raps, andere entwickelten eine Performance oder schufen eine Holzskulptur, den „Stuhl der Zukunft“.

Begleitet wurden sie dabei von Ann-Marleen Barth. Die energiegeladene Mittzwanzigerin ist seit eineinhalb Jahren leitende Theaterpädagogin beim Theater Strahl. Die Teenager seien für das Theater weit mehr als nur ein Publikum, erklärt sie: „Wir binden sie von Anfang an in die Stückentwicklung ein. Am Beginn jeder Inszenierung steht ein Recherche-Workshop, indem wir den Zugang der Jugendlichen zum Thema erarbeiten.“

Zum Beispiel bei „Nathan“, das, frei nach Lessing, das Verhältnis der Religionen untereinander thematisiert und zur Zeit entwickelt wird. Barth hat sich dafür eine katholische, eine jüdische und eine muslimische Schulklasse ausgesucht. Spontan sollten die Schüler einen kurzen Text schreiben, der sich mit der Frage „Was glaubst du?“ auseinandersetzt. „Erkläre die Ringparabel in einer SMS“, lautete eine andere Aufgabe. Schließlich hat Barth sie mit Kameras durch ihren Kiez geschickt, auf der Suche nach einem Symbol für das, woran sie glauben. Die Aufnahmen zeigen eine Koranschule, einen Sonnenuntergang oder einen Jungen, der mit entrückter Miene E-Gitarre spielt.

Haben die Proben begonnen, fungieren die Teenager als Korrektiv: Schulklassen werden zu öffentlichen Proben eingeladen und um ihre Meinung gebeten. Nach einer zweistündigen Probe für „Nathan“ etwa sprudelt ein Oberstufenkurs „Darstellendes Spiel“ nur so vor Fragen und Verbesserungsvorschlägen.

Die Zusammenarbeit trägt Früchte: Das Integrationsdrama „Weißbrotmusik“ von Marianna Salzmann ist gerade für den Jugendtheaterpreis Ikarus nominiert worden. Das Jubiläum ist für das Theater Strahl allerdings nicht nur Grund zurück-, sondern auch nach vorn zu blicken. „In den letzten Jahren haben wir vier Genres auf dem Spielplan etabliert“, sagt Theaterleiter Wolfgang Stüßler und zählt auf: „Performance, Interaktives Theater, Adaptationen von klassischen Dramastoffen – und seit einigen Jahren auch das Masken-Beatbox-Theater.“

Beatboxen

Letzteres sei besonders geeignet für Schüler mit geringen Deutschkenntnissen, da es ohne Sprache auskomme. „Klasse Klasse“, mit dem der Geburtstag gefeiert wurde, ist so ein Stück. Locker aneinandergereiht werden Charaktere gezeigt, wie sie jeder aus seiner eigenen Schulzeit kennt: der Streber, die Diva, der Langweiler. Die Schauspieler tragen dazu überdimensionierte Masken, deren Starre sie mit vollem Körpereinsatz ausgleichen. So ähnlich stellt man sich die Muppets auf Speed vor. Untermalt wird das Ganze durch Mando, der nicht nur die unglaublichsten Geräusche mit seinem Mund produzieren kann, sondern auch eine Ausbildung an der klassischen Gitarre absolviert hat.

Was kommt als Nächstes? „Wir möchten den zeitgenössischen Tanz für Jugendliche zugänglich machen“, sagt Stüßler. Aber nicht nur inhaltlich geht man beim Theater Strahl neue Wege. Die Schöneberger Spielstätten „Weiße Rose“ und „Probebühne“ sind längst zu klein geworden. Man denkt über einen Umzug ans Ostkreuz nach, auf das Gelände einer Jugendherberge, die dort entstehen soll.

Zuerst einmal jedoch hat am 25.September „Nathan“ Premiere. Und offensichtlich besteht in Schöneberg Redebedarf: Gerade erst wurde dort ein Rabbiner verprügelt.