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Archiv-Artikel

Einreise ins Schengenland nur noch für Reiche

Ein neues Gesetz in Rumänien verlangt künftig den Nachweis von 100 Euro pro Aufenthaltstag im Ausland. Auch eine Einladung ist erforderlich – außer für Geschäftsleute. Kritiker sprechen von der Einführung einer Klassengesellschaft

BERLIN taz ■ Den Antidiskriminierungsgrundsatz in der rumänischen Verfassung scheint der Bukarester Innenminister Vasile Blaga nicht zu kennen. Den Beweis dafür lieferte er, als er vor einigen Tagen ein bereits von der sozialdemokratischen Vorgängerregierung erlassenes Gesetz in Kraft setzte, das im Grunde die Reisefreiheit der Rumänen einschränkt.

Das umstrittene Gesetz sieht unter anderem vor, dass Bürgern, die in den Schengener Raum eingereist sind und die Aufenthaltsfrist von 90 Tagen überschreiten, die Pässe an der Grenze kurzerhand beschlagnahmt werden. Um die Einreise in den Schengener Raum zu begrenzen, müssen Reisewillige künftig pro Aufenthaltstag im Ausland 100 Euro dabei haben und der Grenzpolizei vorlegen, die Hin- und Rückfahrkarte sowie eine Einladung vorzeigen oder – falls es sich um eine Touristenreise handelt – Hotelbuchungen nachweisen. Der Innenminister begründete die scharfen Anordnungen mit der großen Anzahl von Straftaten, die von rumänischen Bürgern in den Schengen-Staaten begangen wurden. Von der Anordnung des Innenministers waren in den ersten Augusttagen Tausende betroffen. Selbst jenen, die aus Krankheitsgründen die 90-Tage-Frist überschritten hatten, wurden die Pässe abgenommen.

„Die Beschlagnahmung der Pässe ist ein willkürlicher und diskriminierender Akt“, kommentierte die Vertreterin der Bürgerrechtsorganisation „Liga pro Europa“, Smaranda Enache. Der rumänische Staat, erklärte die Bürgerrechtlerin, mache sich der Verfassungsübertretung schuldig, indem eine Maßnahme angewendet werde, über die nur ein Gericht entscheiden dürfe. Gegen die Verfügungen des Ministers, der einer von der liberalen Partei dominierten Regierungskoalition angehört, protestierten auch die Unternehmer. Insbesondere die Vorlage einer Einladung stieß auf harsche Kritik. Der Innenminister signalisierte mittlerweile Kompromissbereitschaft und machte dem mächtigen Unternehmerverband schließlich das Zugeständnis, Geschäftsleute von der erforderlichen Einladung zu befreien.

Die Aufteilung der rumänischen Bevölkerung in zwei Klassen – Privilegierte, die ohne eine Einladung ins Ausland reisen dürfen, und solche, die eine Einladung vorweisen müssen, löste eine Welle der Empörung aus. Dem ins Kreuzfeuer der Kritik geratenen Minister wurde vorgeworfen, das in der Verfassung festgeschriebene Gleichheitsprinzip der Bürger zu übertreten. Zudem sei der Versuch, das Land in eine Klassengesellschaft zu verwandeln, als zynisch zu bewerten. Letztendlich versuchte der Minister auch dieses zerschlagene Porzellan wieder zu kitten. Als Erstes erhielt die Grenzpolizei den Befehl, die Pässe derjenigen nicht mehr zu beschlagnahmen, die die Aufenthaltsfrist von 90 Tagen überschritten haben. Ihr „Vergehen“ soll nun in einer zentralen Datenbank erfasst werden. Das führt dazu, dass jetzt die lokalen Meldestellen die Pässe requirieren und nicht mehr die Beamten der Grenzpolizei.

Woher die Reisewilligen künftig jedoch die obligatorischen 100 Euro Tagesgeld nehmen sollen, wenn sie denn ins Ausland fahren möchten, bleibt eine offene Frage. Der monatliche Durchschnittslohn in Rumänien liegt bei umgerechnet rund 200 Euro. So wird der normale Bürger wohl in Zukunft auf Auslandsreisen ganz verzichten müssen. Allenfalls die Klasse der Betuchten wird sich diesen Luxus noch leisten können. WILLIAM TOTOK