: Sehnsucht an einem halben Abend
KONZERT Vera Kropf, Half Girl, Candelilla: Ein Frauenset im Club About Blank weckte Wünsche nach früher – als Indierock besonders im Rriot-Girl-Gewand noch Relevanz hatte. Für immer 1994!
Ich wurde unter Vortäuschung falscher Tatsachen hergelockt. Zum Saisonausklang im schön heruntergekommenen About Blank an der Baustelle Ostkreuz sollten, hieß es, Luise Pop aus Wien spielen. Luise Pop, die mit dem Pferd auf dem Cover ihres Debütalbums. Stattdessen aber spielte laut genauerer, zeitnaher Ankündigung Vera Knopf, was wiederum gelogen war, denn die Sängerin und Gitarristin der Wiener Band heißt Vera Kropf.
Egal, die spielte dann tatsächlich, und sie spielte nach erheblicher Verzögerung im Garten vor nicht so vielen Leuten Stücke ihrer Band. Sie allein, die Gitarre und ihre Stimme.
Das war dann auch okay, obwohl so ganz nackt klang das meiste irgendwie wie die Wiener Version der Rainbirds, aber warum auch nicht, die hatten schließlich auch einen Hit. Den suchen Luise Pop noch, Zeit dazu haben sie; und „Black Cat“, das mehr vom Meer als von Katzen handelt, ist ein Schritt in diese Richtung und auch an diesem Abend das beste Stück des kurzen Sets. Dann coverte Kropf noch ein entlegenes Beach-Boys-Stück, wenn ich das richtig verstanden habe, obwohl auch „Gardening at Night“ oder „Lady D’Arbanville“ gut gepasst hätten. Nun stand der Abend unter dem Motto „The Girls are Back in Town“ (waren sie jemals weg?) und hatte noch zwei weitere ausschließlich mit Frauen besetzte Acts am Start.
Half Girl passten vom Namen her also nur halb rein, andererseits war so einiges halb an diesem Abend: Der Kreuzungsbahnhof Ostkreuz ist erst halb fertig, das About Blank ist nur so halb cool, und halb Berlin war gar nicht erst gekommen, im Gegenteil: Es gibt Interessanteres als deutschsprachigen Indiepop heutzutage, das wurde offensichtlich, und sei er noch so weiblich konnotiert.
Wie dem auch sei. Half Girl spielten drinnen im Klub jedenfalls ein lustiges Set, das tief in den Exotica- und Psych-Zombie-Rock-Untiefen der fünfziger Jahre steckte, es dann aber noch via Kiss- und Motörhead-Coverversionen in den Vorzeitrock schaffte.
Vera Kropf spielte Gitarre, am Bass stand Julia Wilton (Pop Tarts/Das Bierbeben). Die Musik war super, ganz besonders dann, wenn sich Julie Miess (Britta) aufs Orgelspielen konzentrierte. Dafür war die Schlagzeugerin Anna-Lena Lutz mit Topfblumenhut besonders gut und sollte von ambitionierteren Bands abgeworben werden.
In den Pausen – leider zog sich der Abend etwas zäh dahin – spielte das Doctorella-DJ-Team Hits früherer Tage: mal Hole, mal Stereolab. Überhaupt kam es mir vor, als ob man im Wesentlichen, Reporter inklusive, einer krummen Sehnsucht nach früher hierher gefolgt war. Früher, als Indierock, besonders im Rriot-Girl-Gewand, noch Relevanz hatte. Auch außerhalb universitärer Diskurse rund um Gender Studies und Postfeminismus. Außerhalb vom Missy Magazine. Ich meine, so musikalisch.
So lautete das wahre Motto eher „Forever 1994“. Dazu passend auch der Act am Schluss, da spielten Candelilla aus München – mit halb deutschen, halb englischen Texten, viel Theoriegesumm und Feedback im Hintergrund, produziert vom Altmeister Steve Albini. Das klingt dann nicht schlecht, in etwa nach einer Mischung aus Mutter (Frühwerk) und Blumfeld (dito), nur eben auf weiblich und sexuell anders denkend. RENÉ HAMANN