: „Der Wohnungsmarkt ist total wahnsinnig“
REVOLUTIONÄR In Prenzlauer Berg haben 18 Erwachsene und 3 Kinder ihren Neubau in der Malmöer Straße bezogen. Die Bauherren sind zugleich die Bewohnerinnen und Bewohner. Sie verstehen ihr Projekt als Beitrag gegen die Spekulation am Wohnungsmarkt
■ 31, schreibt gerade ihre Doktorarbeit in Soziologie.
INTERVIEW NIKOLA ENDLICH
taz: Wie kommen 18 Erwachsene mit drei Kindern auf die Idee, zusammenzuziehen?
Bettina: Wir wollen nicht alleine und vor allem nicht in einer Kleinfamilie unser Leben verbringen. Natürlich muss man der Typ dafür sein. Aber wir haben Lust, mit mehr Leuten zusammenzuleben und uns aufeinander zu beziehen. Wenn man sich in einer größeren Gruppe zusammenschließt, kann man auch größere Sachen planen als in einer WG. Wir haben uns zum Beispiel für ein Blockheizkraftwerk entschieden, um energiepolitisch einen kleinen Beitrag zu leisten.
Wo habt ihr vorher gewohnt?
Bettina: Ich komme aus einer Vierer-WG.
Lukas: Ich auch.
Habt ihr da den Raum vermisst, um Dinge gemeinsam auf die Beine zu stellen?
Lukas: Das jetzige Projekt ist einfach etwas komplett anderes. Als WG konnten wir nicht einfach Umbauten vornehmen oder tiefgreifende Entscheidungen treffen. Wir waren dieser Mietsituation einfach ausgeliefert. Deswegen ist es jetzt nochmal ganz anders zu wissen: Alle, die in diesem Haus wohnen, wollen das Haus auch zusammen gestalten.
Bettina: … und haben auch die Möglichkeit, das zu tun.
Ihr hattet zuerst nach einem bestehenden Haus gesucht. War das zu teuer?
Bettina: Der Wohnungsmarkt in Berlin ist gerade total wahnsinnig. Es gibt sehr viele Projektgruppen, die Häuser suchen. Viele scheitern daran. Wir hatten als Gruppe auch nicht das Ziel, ein Haus zu bauen. Ein Haus aus dem Bestand zu nutzen wäre für uns schon besser gewesen.
Lukas: Ja, es ist schwer, bei Kaufverhandlungen als Initiative ernst genommen zu werden. Also wirklich als Konkurrent auftreten zu können, auch wenn das Geld zusammen ist.
Bei dem Haus, das ihr jetzt zum 1. September bezogen habt, wart ihr selbst die BauherrInnen. Wie ist das Gebäude konzipiert?
Lukas: Bis auf die Eltern unter uns haben alle gleich große Zimmer von 16 Quadratmetern. Es gibt zwei Gemeinschaftsküchen und eine Projektfläche.
Bettina: Das unterscheidet uns von einem normalen Mietshaus . Das Bauamt konnte unser Projekt gar nicht in seine Kategorien einsortieren. Es ist kein Studierendenwohnheim, kein Reihenhaus, kein Mehrfamilienhaus. Es ist halt was anderes.
Ein Viertel der Investitionssumme, 250.000 Euro, musstet ihr als Eigenkapital aufbringen. Ihr habt das durch Direktkredite zusammenbekommen. War das schwierig?
Bettina: Wir haben einen Flyer gemacht, über Verteiler geschickt und Freunde, Bekannte, Familie und andere Projekte gezielt angefragt. So kam das nach und nach zusammen. Zudem haben wir sehr vom Mietshäuser Syndikat profitiert. Die haben noch mal andere Beziehungen, und es gibt im Verbund viel ältere Projekte in Süddeutschland, die schon lange abgezahlt sind. Die können Kredite an neue Projekte vergeben.
Teilen die Menschen, die euch Geld gaben, eure Vorstellung vom Wohnen und Leben?
Lukas: Zum größten Teil steckt da schon eine politische Haltung dahinter. Es haben uns auch Leute Geld geliehen, die wir gar nicht persönlich kennen. Die sind einfach auf uns zugekommen, weil sie davon gehört haben, es für sinnvoll erachten und ein bisschen Geld übrig haben.
Ihr habt jede Menge Arbeit und Zeit in dieses Projekt investiert. Ist es dadurch automatisch ein langfristiges Projekt für euch?
Lukas: Alle Menschen gucken, ob das, was sie machen, auch etwas für sie bringt. Aber an einem bestimmten Punkt in so einem Projekt verlierst du diesen Gedanken, weil es nicht aufzurechnen ist. Was wir kriegen, ist unglaublich viel, und was wir machen können, teilen wir untereinander auf. Ich würde es andersherum sehen: Es ist unglaublich verrückt, dass wir am Ende dieses Haus haben und damit machen können, was wir wollen. Das Haus wird es für immer geben – und wir werden zumindest für immer diejenigen sein, die es aufgebaut haben.
Ihr trefft alle Entscheidungen nach dem Konsensprinzip. Ist das mit 18 Leuten schwierig?
Bettina: Hängt vom Thema ab.
Lukas: Es gibt Themen, bei denen Leute starke Meinungen oder Vorbehalte haben. Selbst bei Wandfarben. Aber es gibt auch schwierigere Probleme, etwa das, ob wir jetzt mehr Geld brauchen.
Bettina: Zum Glück hat sich der Architekt auf diesen Prozess eingelassen. Er hatte Geduld, wenn wir noch mal eine Woche über etwas diskutiert haben.
Was waren schwierige Themen?
■ 27, ist Student und schreibt gerade seine Abschlussarbeit in Kunstgeschichte.
*Name geändert
Lukas: Es gibt bei uns jede Woche ein langes Plenum, das dauert zwei bis fünf Stunden. Schwer zu sagen, was da in den letzten zwei Jahren die schwierigsten Themen waren. Es gab viele technische Fragen, viele Fragen des Zusammenlebens. Wenn einzelne Leute in der Gruppe Bauchschmerzen bei einem Thema haben, wird das in der Gruppe diskutiert. Aber danach halten wir uns auch an unserer Beschlüsse.
Wozu dient euer Projektraum?
Bettina: Unser Ziel ist es, ihn für lokale Kiezaktivitäten offen zu halten.
Lukas: Das sind aber nicht ausschließlich politische Gruppen. Wir wollen grundsätzlich mit den Leuten um uns herum zu tun haben.
Bettina: Und wenn es eine Strickgruppe ist, kann es eben auch eine Strickgruppe sein.
Euer Projekt stellt sich den derzeitigen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt entgegen. Glaubt ihr, das könnte Schule machen?
Lukas: Früher habe ich immer den Witz gemacht, dass wir mit dem Miethäuser Syndikat die ganze Stadt aufkaufen. Aber das geht ja leider nicht.
Bettina: Wieso nicht?
Lukas: Weil die Leute die Häuser nicht verkaufen wollen, die Besitzer machen ja dadurch Gewinne. Unser Projekt steht in starker Konkurrenz zu einem gewinnorientierten Wohnungsmarkt, der sehr mächtig und aktiv ist. Da reicht das Syndikat allein nicht aus. Klar, es wächst, und in Berlin entstehen noch weitere zwei Projekte. Wir setzen damit ein Zeichen, aber unsere Nachbarn zahlen ja trotzdem noch Miete, und mit der wird spekuliert und werden andere Häuser gekauft.
Bettina: Das nervt uns auch an einer gewissen Berichterstattung über unser Projekt: Da sieht es so aus, als ob die Stadt gar nichts machen muss und trotzdem billiger Mietraum entsteht. Es ist absolut nicht unsere Intention, dass kein geförderter Wohnungsbau mehr entstehen soll. Aber es ist total wichtig, Alternativen aufzuzeigen.