: press-schlagLaborant schwenkt den Erlenmeierkolben
Es beginnt eine lange Zeit des Wartens. Die Weltmeisterschaft in Südafrika geht erst in 237 Tagen los. Erst dann wird man wohl von der deutschen Fußballnationalmannschaft wieder ansehnlichen, guten, inspirierten Sport sehen. Nach der vollendeten WM-Qualifikation hat sich die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw in ein Moratorium verabschiedet, das erst mit dem World Cup am Kap beendet sein dürfte. Bis dahin wird hier ein bisschen getestet und dort ein wenig probiert.
Einspielen kann man sich später noch, sagt Löw, jetzt sollen junge Aspiranten eine Chance bekommen. Das wird die Fans der Nationalmannschaft nicht freuen, auch jene nicht, die teure Karten für die in diesem Jahr noch ausstehenden Partien gegen Chile und Ägypten gekauft haben. Aber sie müssen sich wohl oder übel dem großen Ganzen unterordnen – und das ist der Erfolg bei der WM. Löw legt keinen Wert darauf, in diesen Freundschaftskicks seine Stammelf zu Höchstleistungen und Zauberfußball anzutreiben, das seien vielmehr Spiele, „um unabhängig vom Ergebnis dem einen oder anderen neuen Spieler die Möglichkeit zu geben, Erfahrung zu sammeln, um auch im Training zu sehen, welches Potenzial er hat. Das sind für mich wichtige Erkenntnisse, um zu reagieren, wenn es darauf ankommt.“
Die DFB-Elf befindet sich also aktuell in einem Labor. Löw schwenkt den Erlenmeierkolben, und man darf gespannt sein, welche Mixtur im Frühjahr 2010 präsentiert wird. Vieles weiß man aber schon jetzt. Die WM-Mannschaft wird sich in erster Linie aus der Moskauer Elf rekrutieren. Die hat sich im Entscheidungsspiel bewährt. Michael Ballack und Philipp Lahm führen die Mannschaft an. In Miroslav Klose und Per Mertesacker hat sie zusätzliche Stützen. René Adler ist nach seinem Auftritt im Luschniki-Stadion der Posten im Tor wohl nicht mehr zu nehmen.
Löw experimentiert aber nicht etwa, weil ihm langweilig wäre, sondern weil es durchaus Experimentierfelder gibt. An der Zusammensetzung der Viererkette muss Löw noch ein bisschen arbeiten. Er muss rochieren, um herauszufinden, ob zum Beispiel Jérôme Boateng Perspektive hat, und wenn ja, auf welcher Position: in der Innenverteidigung oder als Außenverteidiger. Er muss abwarten, ob Mario Gomez seine Hemmungen im Nationaltrikot loswird oder ob das in Hamburg in der ersten Halbzeit ausprobierte 4-3-3-Spielsystem zu den Akten gelegt werden muss.
Es ist ohne Zweifel ein Puzzlespiel. Das geht nicht ohne Versuch und Irrtum. Löw kann sich dieses Trial-and-Error jetzt leisten, da es um nichts mehr geht. Außerdem müssen Löws Stammspieler auch mal ihre Verpflichtungen in ihren Bundesligateams erfüllen, bei ihren Geldgebern. Es liegt in der Natur der Sache, dass der HSV oder Bayer Leverkusen weniger delegierungsfreudig sind, wenn es nur ums Renommee geht.
Es bringt nicht viel, nach dem 1:1 gegen Finnland von einem „peinlichen“ oder „blamablen“ Auftritt zu sprechen. Die DFB-Elf will jetzt eben nur bedingt für die Bespaßung der Öffentlichkeit zuständig sein: Anstatt die kommenden Länderspiele als zirzensische Events zu planen, denkt Löw an Südafrika. Das kann man ihm übelnehmen, aber wenn es in 237 Tagen gutgeht mit der Expedition ans Kap, dann werden die Freunde des Fußballs hierzulande nicht mehr Zeter und Mordio schreien, sondern hurra und jippi-jeh. MARKUS VÖLKER