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Archiv-Artikel

Der Menschenscheue

Bilder jubelnder Massen werden nicht verdecken können, dass der Papst bisher wenig gewagt hatEs wäre eine Überraschung, aber vielleicht holt Benedikt in Köln ja doch zu einem großen Wurf aus

VON PHILIPP GESSLER

Da reist ein alter Mann, 78 Jahre alt, nach Deutschland. Nach Auskunft seines Bruders hat er schon zwei Schlaganfälle hinter sich. Er selbst nennt sich einen „zerbrechlichen und schwachen Menschen“, will sich aber in Köln und Umgebung innerhalb von fünf Tagen ein Mammutprogramm aufhalsen. Hunderttausende, ja bis zu einer Million Menschen wollen ihn sehen. Er muss vor ihnen reden. Kameras werden jeden Schritt von ihm beobachten und in 160 Länder übertragen. Rund 6.600 Journalisten aus aller Welt sind vor allem wegen ihm gekommen. Soll man Mitleid mit ihm haben?

Dazu besteht wenig Anlass. Denn Joseph Ratzinger, geboren im bayerischen Marktl am Inn, hat es ja so gewollt. Er hätte die Wahl zum neuen Papst mit Namen Benedikt XVI. am 19. April ablehnen können. Vor allem hätte er nicht unmittelbar nach dem Konklave seinem Duzfreund, Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln, zusichern brauchen: „Du, ich komm nach Köln.“

So aber ist Benedikt XVI. nun der Star des Weltjugendtags. Und vieles dabei ist schwierig für ihn: Es ist ein Massenspektakel vom Glauben euphorisierter Jungkatholiken, deren Welt dem neuen Pontifex maximus so fern ist. Es ist die erste Auslandsreise dieses Papstes überhaupt, weshalb die katholische Welt mit einer Milliarde Gläubigen und viele Christen darüber hinaus besonders genau hinsehen werden.

Dann ist Benedikt XVI. der erste „deutsche“ Papst nach etwa 450 Jahren, was manche zu Ekstase (Bild: „Wir sind Papst!“), andere, wie etwa die britische Boulevardpresse , zu besonderem Argwohn („Hitlerjunge“, „Gottes Rottweiler“, „Panzerkardinal“) verleitet. Und schließlich sind Papstreisen in das Land Luthers traditionell schwierige Unterfangen für jeden Nachfolger Petri. Denn kritisch gegenüber Rom zu sein gehört hier zur Normalität, selbst wenn man katholisch ist. Alle also werden mit besonderer Aufmerksamkeit auf jedes Gesichtsmuskelzucken Benedikts XVI. am Rhein schauen.

Und schlimmer noch: Benedikt XVI. steht mit einem Charismatiker besonderer Güte in einem virtuellen Wettstreit. Er wird gemessen werden an seinem verstorbenen Vorgänger Johannes Paul II., der die Weltjugendtage ins Leben rief und Millionen junger Leute trotz Schüttellähmung, Greisenhaftigkeit und sperriger Botschaft in den Bann zu ziehen verstand.

Da kann der neue Papst eigentlich nur verlieren. Zwar strömen zu seinen Sonntagsgebeten auf dem Petersplatz in Rom regelmäßig Zehntausende. Dort aber predigt er von einem Fenster auf die Gläubigen herunter. Beim Weltjugendtag in Köln wird es vor den hunderttausenden Jugendlichen ums Anfassen gehen, um Humor und um Spontaneität. Wer jemals den fast menschenscheuen deutschen Dogmatikprofessor live erlebt hat, sanft in einen Raum schreitend, höflich nickend, aber kaum auffallend, weiß, wie fern ihm diese medialen Tugenden sind.

Als Benedikt XVI. neulich mit ziemlich peinlicher papstweißer Schirmmütze als lächelnder Sommerfrischler auf der Spitze des Mont Blanc vor Mittouristen trat, klatschten und freuten die sich zwar – hielten aber lieber mehrere Meter Sicherheitsabstand. Beim Eucharistischen Kongress in Bari, der ersten „Inlandsreise“ des Papstes, hielt er es vor hunderttausenden wohlgesinnten Italienerinnen und Italienern Ende Mai nur drei Stunden aus. Selbst der seit Jahren geradezu devote Ratzinger-Fan Heinz-Joachim Fischer, FAZ-Korrespondent in Rom, muss in seinem neuen Buch über Benedikt XVI. einräumen, dass diesem in seiner Zeit als Erzbischof von München-Freising „Großzügigkeit und Souveränität im persönlichen Umgang“ schon damals „nicht immer zu Gebote standen“. Deutlicher gesagt: Ratzinger und seine Schäfchen fremdelten gewaltig.

Benedikt XVI. kann besser mit Büchern als mit Menschen. Hinter vorgehaltener Hand lästerte ein anderer Oberhirte, dem Mann fehle jegliche Menschenkenntnis. Seit Jahren ist bekannt, dass Ratzinger seinen Vorgänger gebeten hatte, ihn als Präfekten der Glaubenskongegration in den Ruhestand zu schicken, damit er sein theologisches Werk noch ausbauen könne – doch Wojtyla befahl ihm zu bleiben. Jetzt hat Ratzinger einen mörderisch harten Job übernommen. Weshalb es wohl nicht nur Koketterie war, dass er seine Wahl zum Papst als ein auf sich zurasendes „Fallbeil“ beschrieb. „Eigentlich hatte ich geglaubt, mein Lebenswerk getan zu haben, und mich auf einen ruhigen Lebensabend gefreut. Ich habe in diesem Augenblick gebetet: Herr, tue mir das nicht an!“, erinnert er sich ans Konklave, „aber der Herr hörte in dieser Situation offenbar nicht zu“.

Als er vor wenigen Tagen gefragt wurde, ob die ersten Monate auf dem Petrusthron schwierig gewesen sei, sagte Benedikt XVI. hölzern: „Ja, in einem gewissen Sinne schon.“ Dabei hat er bisher kaum Neuland betreten oder Kraftakte gewagt: In der Kurie ließ er fast alle Mitarbeiter auf ihren Posten. Sein Nachfolger als Leiter der Glaubenskongregation wurde ein vorher kaum bekannter Erzbischof aus den USA, der früher mit ihm zusammen gearbeitet hat. Sehr konservativ ist der natürlich. Wie sein Chef.

Bei den Streitthemen Homoehe und Kondome beließ es der neue Papst bei alten Positionen, und anderes zu erwarten war entweder naiv oder Wunschdenken. Am aufregendsten war noch, dass er sehr schnell ein Seligsprechungsverfahren für Johannes Paul II. anstieß und ein anderes für einen antisemitischen Priester aus Frankreich erst einmal stoppte. Aber das ist alles kein Vergleich zum furiosen Start, den etwa Johannes Paul II. 1978 vorlegte.

So hat sich in den vergangenen Wochen beim Thema Papst so etwas wie sanfte Langeweile breit gemacht. Das ist etwas seltsam angesichts des Medienhypes bei seiner Wahl. Papst stirbt, Papst tot, Papst beerdigt, neuer Papst gewählt – das waren Sternstunden der öffentlichen Aufmerksamkeit für Kirche und Medien. Viele in der Kurie und den Chefredaktionen wollen gern da anknüpfen und den Weltjugendtag ebenfalls zu einem Weltereignis machen.

Die TV-Bilder jubelnder Massen werden jedoch nicht verdecken können, dass der Papst bisher Wichtiges vergeigt oder verdrängt hat: Die Ökumene bezeichnete Benedikt XVI. als eines seiner Hauptanliegen – doch bisher waren zarte Tastversuche nach Moskau wegen des Dauerstreits mit der russisch-orthodoxen Kirche wenig erfolgreich. Der Papst muss die Verwaltung der Weltkirche verschlanken und verjüngen – aber auch hier sieht man bisher von Benedikt XVI. wenig. Der Islam und der islamistische Terror suchen eine neue Antwort – bis auf ein paar ungeschickte Äußerungen, die Israel brüskierten, kam bisher vom Vatikan dazu nichts. Hinzu kommen das Dauerproblem China, wo die papsttreue katholische Kirche unterdrückt wird, die Frage eines EU-Beitritts der Türkei und das Mega-Thema Globalisierung als Arbeitsfelder. Zu allen drei Themen schwieg der Papst bisher oder äußerte nur Belangloses.

Ist er schon jetzt überfordert oder bereitet er sich nur gründlich vor? Benedikt XVI. ist, trotz aller konservativen Schärfe seiner Worte, ein bedächtiger Mann – und er ist ein Mann eher der Schrift, denn des gesprochenen Wortes. Sein theologisches Oeuvre, über das manche Theologen ob der Eleganz der Gedanken und Klarheit der Worte schwärmen, füllt eine ganze Bibliothek. Seine jüngsten Werke sind Bestseller. Denn nicht nur die Katholikinnen und Katholiken wollen wissen: Was denkt dieser Mann, und was hat er vor?

Eine Enzyklika ist offenbar in Arbeit, aber worum es geht, ist unklar. Drei Koffer mit Bücher soll der Papst in seinen Urlaub mitgenommen haben. Fleißig ist er ja, der deutsche Professor. Eine für den Herbst einberaumte Bischofssynode soll sich dem Thema „Eucharistie“ widmen. Das vorliegende Arbeitspapier zeigt keine Bewegung etwa bei den Streitfrage des gemeinsamen Abendmahls mit Protestanten. Aber ist das, mal ehrlich, wirklich eine Frage, die der Welt auf den Nägeln brennt?

Der Auftritt des Papstes auf dem Weltjugendtag könnte in manchen dieser Fragen Hinweise geben, wohin die Reise geht. Bernd Heusinger, Kreativchef der renommierten Berliner Werbeagentur „Zum goldenen Hirschen“, findet den Papst unsicher. Er habe seine Rolle noch nicht gefunden. Auf dem Weltjugendtag sollte Benedikt XVI. „sich nicht äußerlich anbiedern – sondern inhaltlich schocken: Mit einem unerwarteten, aber klaren Bekenntnis zu Empfängnisverhütung und der Abschaffung des Zölibat!“, meint Heusinger. „Damit würde er der katholischen Kirche Gutes tun – und sowohl neue Mitglieder ansprechen, aber vor allem eine neue Relevanz für seine Marke schaffen.“

Etwas ernster und ziemlich anders sieht dies der Theologieprofessor Rainer Kampling von der Freien Universität Berlin: Benedikt XVI. sei keineswegs unsicher – „es sei denn, man hält Zurückhaltung für Unsicherheit, was ich nicht tue“. Der neue Papst sehe das Treffen in Köln als ein religiöses Ereignis. „Er wird also als der da sein, der er ist: das Oberhaupt der größten Religionsgemeinschaft der Welt und ein Bischof.“ Allerdings, räumt Kampling ein, hätten Veranstaltungen solcher Größe „auch immer eine Eigendynamik“. Vielleicht holt Benedikt der Biedere ja doch noch in Köln zu einem großen Wurf aus. Überraschend wäre das schon.