piwik no script img

Halt einer der Iren

Der enthusiastisch gefeierte British-Open-Sieg von Golfprofi Shane Lowry aus Dublin in Nordirland wird zu einer politischen Machtdemonstration und wirft die Frage auf, wie viel Vereinigtes Königreich die irische Insel verträgt

Von Bernd Müllender

Zeitweilig peitschender Wind, deftige Regenschauer reichlich, auch mal eher waagerecht als senkrecht. So müssen „The Open“ sein, sagen Golf-Enthusiasten auf den Inseln, garstig und ungemütlich. Am sonntäglichen Finaltag bei der 148. Auflage des ältesten Major-Turnier war es zeitweise so an der nord­irischen Nordküste auf dem Platz des Royal Portrush Golf Club. Nur wer solches Wetter übersteht, ist ein wahrer „Champion of the year“. Die Zuschauer kuschelten sich lachend unter die Schirme-Landschaften, überall Wasser. Viele Bälle streuten durch die Gegend, hinein in die nassen Gräserwälder und dichten Ginsterbüsche.

Zwei Männer waren, deutlich in Führung liegend, gemeinsam auf die regenreiche Schlussrunde gegangen, die vom Anschein her kaum unterschiedlicher sein konnten: Shane Lowry, 32, ein imposanter Trumm von einem Mann, groß, leicht x-beinig, gut zwei Zentner schwer, mit rötlichem Modebart. Und Tommy Fleetwood, 28, wallende 60er-Jahre-Mähne, zauseliger Seemannsbart, ein sehr dünnes Hemd von Kerl, dem man kaum die Dynamik eines Golfprofis zutrauen möchte. Wenn sie nebeneinander stehen, kommen einem unwillkürlich Laurel und Hardy in den Sinn.

Der Ire aus Dublin also und der englische Arbeitersohn. Gespielt wird erstmals seit 1951 in Nordirland. Also im Vereinigten Königreich. Und wem galten unüberhörbar die größeren Sympathien der Zuschauer? Dem Ausländer. Also Lowry. Jubelschreie der entzückten Massen jedes Mal, wenn er den Ball zielsicher aufs Grün schoss und ihn samtpfotig versenkte. „Die Leute stehen ja kaum einen Meter entfernt“, staunte Lowry später, „und ehrlich, immer wenn ich vom Grün zum nächsten Abschlag gehe, schreien sie mir direkt ins Gesicht, so laut sie können.“

Shane Lowry hatte am Samstag die Grundlage gelegt: 63 Schläge, acht unter Standard, nur ein Schlag über dem Allzeitrekord für ein Major-Turnier. 40.000 mehrheitlich Nord­iren tobten vor Begeisterung. Kann man sich vorstellen, dass belgische Flamen einen Holländer so feiern, Österreicher einen Ungarn?

Lowry ist halt einer der Iren, aus dem Nachbarland, das es seit 98 Jahren politisch ist. Das Sympathie-Manifest war nicht nur Sport-Folklore. Es liegt nahe, an eine Wiedervereinigung Irlands zu denken. Zumindest zeigen die Jubelstürme tiefsitzende Wünsche vieler. Und eine politisch einheitliche Grüne Insel hätte auch unmittelbare Brexit-Folgen. Statt Back stop sozusagen Back go. Ein Deal mit Brüssel wäre um vieles einfacher. Aber das ist Fantasie – hier ging es darum, wer besser locht und erstmals ein Major gewinnt.

Das war eben Lowry vor Fleetwood. Der wetterfeste Ire, im Sturmgebraus lange der einzige in kurzen Ärmeln, hatte am Ende sechs Schläge Vorsprung. Eine sehr seltene Marge an Dominanz. „Was für ein Tag“, sagte er sichtlich überwältigt, „es fühlt sich an wie eine außerkörperliche Erfahrung.“ Apropos Körper: Shane Lowry war auch der erste bärtige Open-Sieger seit 1882. Dies nicht als politisches sondern als modisches Zeichen der Zeit.

Der englische Guardian schrieb gestern von „Lowrys Prozession zum Claret Jug“. Als er diesen Claret Jug, den wohl hässlichsten Pokal der Sportwelt, in seinen Pranken hielt, versagte dem Iren in Nordirland die Stimme. Im Hintergrund sangen die Fans irische Lieder. Die Irish Times zitierte derweil einen irischen Fan, der „atemlos erregt“ jubelte: „Es ist, als sei er nach Hause gekommen. Was will man mehr?“ Ein Nord­ire meinte: „Wir haben Shane einfach adoptiert.“ Und es gab sogar zwei junge protestantische Nordiren pro Lowry: Es sei „schon ärgerlich, die irischen Fahnen hier zu sehen“, meinten sie, aber es gebe „absolut keine Aggressionen mehr und nichts mehr auseinanderzudividieren. Schön für Lowry.“

Golf haben Katholiken und Protestanten aller Schichten auf der irischen Insel übrigens immer einträchtig miteinander gespielt. Ansonsten bleibt es ein komplexes Stück Welt.

Der englische Guardian notierte, Lowry sei „ohne Zweifel das neueste Symbol für einen kollektiven Willen in Irland. Der vornehme Golfsport nahm Formen eines Tribunals an.“ Und längst gibt es die Idee, dass Rory McIlroy, der nordirische Star, und eben Lowry bei Olympia 2020 gemeinsam starten – für Irland. McIlroy erklärte schon seine Bereitschaft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen