portrait : Türkischer Verweigerer und Anarchist
Viereinhalb Jahre Gefängnis – so lautet das Urteil des Militärgerichtes im türkischen Sivas gegen Mehmet Tarhan. Sein Vergehen: Verweigerung des Wehrdienstes. Seine totale Ablehnung gab er bereits am 27. Oktober 2001 in den Räumen des Menschenrechtsvereins in Istanbul zu Protokoll. George W. Bush tat gerade seine Absicht kund, Afghanistan anzugreifen. Er sei gegen alles Militärische, sagte der junge Türke mit den langen schwarzen Haaren. Auch lehne er es ab, wegen seiner Homosexualität ausgemustert zu werden, und wolle daher keinen Zivildienst leisten.
2003 schloß sich Mehmet Tarhan den „Antimilitaristen“ an, einer der vielen Initiativen in Istanbul, die für Bürgerrechte kämpfen und von der Gesellschaft als „marginal“ angesehen werden. Im Februar 2003, kurz vor dem US-Angriff auf den Irak, war er einer der 30 Friedensbewegten, die als „lebende Schutzschilder“ nach Bagdad reisten.
Nach seiner Rückkehr saß er aus Anlass der „Woche der menschlichen Würde“ für die Homosexuellen auf dem Podium und sprach über die Diskriminierung türkischer Schwuler im Alltag. 2004 organisierte der 28-Jährige zum 15. Mai, dem Tag der Kriegsdienstverweigerer, ein „Militourismus-Festival“ in Istanbul. „Mehmet liebt Baris“ schrieb er auf ein Plakat: „Baris“ ist nicht nur ein türkischer Männername, sondern bedeutet auch „Frieden“. Nach dem türkischen Strafgesetzbuch ist die „Animierung des Volkes gegen den Wehrdienst“ strafbar. Wer schwul ist, wird ausgemustert – nach langen Untersuchungen, die „die psychosexuelle Grundlagenstörung“ bei dem Verweigerer festzustellen versuchen. Wenn keiner glaubt, dass der Betreffende homosexuell ist, muss er ein Foto vorlegen, das ihn mit einem männlichen Partner „in flagranti“ zeigt – eine scharf kritisierte Praxis.
Aber Tarhan, der ehemaliger Beamter ist und als Beruf „arbeitslos“ angibt, wollte sich nicht auf seine Homosexualität berufen. „Es gibt viele Schwule, die gern zum Militär gehen“, sagte er. Und: „Wenn du am Kiosk eine Packung Zigaretten verlangst und der Mann antwortet, dass er keine Zigaretten an Schwule verkauft, dann sagst du nicht: Okay, rauchen ist schädlich. Du sagst, dass der Kerl kein Recht hat, dich wegen deiner sexuellen Identität zu diskriminieren.“
Tarhan wurde im vergangenen April in Izmir festgenommen und zu seiner Einheit gebracht, wo er sich weigerte, die Uniform anzuziehen. Wegen „Befehlsverweigerung“ wurde er inhaftiert, von Mitinsassen misshandelt. „Sie denken, ich bin verrückt.“ Aufgrund der Strafvollzugsgesetze muss er „nur“ 19 Monate absitzen. Seine Anwälte sind in Revision gegangen. DILEK ZAPTCIOGLU