: Und immer wieder Lenin
MARXISMUS Der Laika-Verlag möchte „große Ideen“ aus der Geschichte der sozialen und politischen Bewegungen in kleinen Büchern zugänglich machen
Das Vorhaben des Laika-Verlags, Schlüsseltexte linker Bewegungsgeschichte wieder zu veröffentlichen, ist zu begrüßen. Am Anfang des Unternehmens stehen das „Manifest der kommunistischen Partei“ (1848) von Marx und Engels und Lenins „Staat und Revolution“ (1917).
Um es vorwegzunehmen: Leider sind beide Bände in formaler und inhaltlicher Präsentation völlig missglückt. Formal fehlt es in beiden Bänden an Angaben zur Text- und Publikationsgeschichte. Und die beiden Herausgeber – der englische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton für das „Manifest“ und der FAZ-Feuilleton-Neo-Leninist Dietmar Dath für „Staat und Revolution“ – erfüllen mit ihren Texten keine einzige der Anforderungen, die man an eine solche Einführung stellen muss. Eagleton bewundert das Manifest zu Recht für seine sprachliche Brillanz, sagt aber gar nichts zum historischen und politischen Entstehungskontext. Der Leser soll den fulminanten Text bestaunen wie ein gut ausgeleuchtetes Objekt in einer Museumsvitrine. Statt einer historisch aufklärenden Kontextualisierung bietet Eagleton nur eine platte Aktualisierung, wenn er etwa feststellt: „In Bezug auf die Umweltproblematik nahm Marx erstaunlich viel von der heutigen Programmatik der Grünen vorweg.“
Die Texte von Marx/Engels und Lenin amalgamieren revolutionären Aktivismus mit geschichtsphilosophischen Spekulationen zu suggestiven Agenden für die Arbeiterbewegungen. Beide Agenden überschätzten die tatsächliche Verfassung und politische Kraft der Bewegungen. Das „Manifest“ rechnet schon im Titel mit einem Akteur, der noch gar nicht existierte – der „kommunistischen Partei.“ Lenin, der dann der Avantgardepartei eine tragende Rolle einräumte, erwähnt die Partei in „Staat und Revolution“ nur einmal en passant.
Geradezu verwegen verfährt Dath mit Lenins im Anschluss an Engels entwickelter Utopie der Beseitigung von Staat und Staatsmacht. Er erwähnt zwar Einwände gegen diese Utopie, verliert aber kein Wort zu den historisch-politischen Entstehungsbedingungen unmittelbar vor der Oktoberrevolution. Dath verteidigt auch Lenins Spekulationen über die „kommunistische Gesellschaft in ihrer ersten Phase“, in der „alle Bürger“ zu „entlohnten Angestellten des Staates werden“ ernsthaft als „Theorie“.
Lenins krude Mischung aus geschichtsphilosophisch unterlegter Ideologie und Propaganda sei – so Dath – „aktuell“ und „ihre Lehren“ gehörten „allen, die sich etwas Besseres vorstellen können als das Vorhandene“. Lenin selbst war ehrlich genug einzuräumen, „die klassenbewussten Arbeiter“ müssten „die Mehrheit für sich gewinnen“, aber notfalls „den Kampf auch durch Zwang führen“. Faktisch waren die Bolschewiki immer eine Minderheit, die sich den Weg zur Macht mit energischer Gewaltanwendung bahnte. Eine der Ursachen für die Gewaltaffinität des praktizierten Leninismus liegt in der spekulativen Annahme eines homogenen, souveränen und revolutionären Subjekts.
Dath verharmlost die Gewalt von den Moskauer Prozessen bis zur alltäglichen Repression und verrechnet die Millionen Toten durch politisch verursachte und gesteuerte Hungersnot, Bürgerkrieg und Terror mit „Feldzügen der USA“ und Opfern des Kapitalismus in aller Welt. Er teilt auch Lenins Einschätzung der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung als „Fiktionen“ und verweigert schon eine Diskussion darüber mit der Schrulle: „Den ganzen Habermas werden Leninistinnen als unbrauchbar begreifen müssen.“ RUDOLF WALTHER
Terry Eagleton: „Karl Marx/Friedrich Engels. Manifest der Kommunistischen Partei (1848)“. Laika Verlag, Hamburg 2012, 120 Seiten, 8,50 Euro
Dietmar Dath: „W.I. Lenin. Staat und Revolution (1917)“. Laika Verlag, Hamburg 2012, 188 Seiten, 9,90 Euro