piwik no script img

Claudius Prößer über Hypes um neue FortbewegungsartenScheuer legt doch eh bald nach

Stört nicht auf der Straße, muss am Ende aber auch irgendwo geparkt werden: das Flyboard Foto: ap

Schlimmer als ein Hype ist eigentlich nur der dazugehörige Anti-Hype, also das aufgeregte Lamentieren über einen Missstand, der so richtig irgendwie noch gar keiner ist. Aber potenziell. Oder gefühlt.

Die Aufregung um die elektrisch betriebenen „Tret“-Roller oder E-Scooter kochte bei deren Zulassung vor vier Wochen hoch und blubbert seitdem vor sich hin. Immer wenn jemand vom Trittbrett fällt und sich verletzt oder gar stirbt, gibt es eine neue Aufwallung. Im menschlichen Sinne weniger tragisch ist das wilde Abstellen der Kleinstgefährte, das Mitte-Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) in seinem Newsletter gerade als „Plage“ bezeichnet hat. „Buchstäblich überrollt“ würden Teile des Zentralbezirks von den neuen E-Rollern – mit „gravierenden Folgen für zu Fuß Gehende“.

Sein Ordnungsamt habe sich kürzlich die neue Fortbewegungsart und ihre NutzerInnen genauer angesehen, verriet Dassel der Presse, dabei seien in vier Stunden 60 Ordnungswidrigkeiten zusammengekommen. Seine Verwaltung werde jetzt die Zahlen aller E-Scooter (nach RBB-Rercherchen schon gut 2.000), Mieträder und Elektromopeds zusammenstellen und auf dieser Grundlage „die Diskussion über Sondernutzungsgebühren neu führen“, für deren Einführung, so Dassel auf taz-Nachfrage, aus seiner Sicht die Bezirke zuständig seien: „Aber selbstverständlich wäre es sinnvoll, ein berlineinheitliches Verfahren zu finden.“

Schwer vorstellbar, dass Senat und Bezirke in der Lage sein sollten, hier in absehbarer Zeit an einem Strang zu ziehen – im Gegensatz zu Letzteren hat die große Landespolitik ja ein gewisses Interesse daran, mit neuen Mobilitätsformen zu experimentieren, und mit den Touristen, die anderswo schon lange e-rollen, will man es sich schon gar nicht verderben. Im Klein-Klein der Ordnungsdienste wiederum dürften schärfere Kontrollen die Ausnahme bleiben, schließlich schaffen es die MitarbeiterInnen bislang nicht mal, die ganzen falsch parkenden Autos zu bändigen.

Bilanzierend lässt sich nach einem Monat Elektrogerolle festhalten: Die Dinger sind Käse. Für viele nicht gut beherrschbar, ergo gefährlich, für andere, vor allem FußgängerInnen, aber auch Bus- und Radfahrende, eher lästig. Die Nutzung der Mietgeräte ist bei derzeit komplett abwesender Preisdifferenzierung (alle Anbieter berechnen dieselben Gebühren) horrend teuer: 20 Minuten 4 Euro, eine Stunde 10 Euro. Vom negativen Öko-Impact der Lithiumbatterien werden wir in Zukunft noch hören, mit einer Lebensdauer von wenigen Monaten ist das Gefährt das Gegenteil von nachhaltig. Und wer tatsächlich darüber nachgedacht haben sollte, sich irgendwann so ein Ding privat anzuschaffen, weil man’s ja so gut in Bus und Bahn mitnehmen kann, weiß mittlerweile (oder spätestens jetzt): Bei gut 20 Kilo Gewicht sind die E-Scooter so schwer wie ein Hollandrad mit Einkaufskorb.

Aber, wie gesagt, alle mal tief durchatmen. Der Trend hat ja auch positive Aspekte: Dort, wo die Scooter auf der Straße fahren (müssen), wird der Autoverkehr tendenziell entschleunigt. Wer will schon einen wackligen Touristen auf dem Gewissen haben? Gleichzeitig fehlen diese unten in der U-Bahn, wo eine neue Geräumigkeit entsteht.

Und überhaupt: Das dünnt sich schon wieder aus, versprochen. Spätestens wenn Andreas Scheuer den neuesten heißen Scheiß für sich entdeckt, der gerade auf der Pariser Militärparade zum 14. Juli zu bestaunen war: Vive le Flyboard!

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen