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Die Alten treten nicht ab

Novak Djokovic gewinnt ein episches Wimbledon-Finale gegen Roger Federer, und beide beweisen fünf Stunden lang: Tennis ist bei den Senioren in den allerbesten Händen

Alt, aber immer noch die Besten: Djokovic (links) und Federer Foto: reuters

Aus London Doris Henkel

So lange, bis die nächste Generation reif für große Siege ist, ist Tennis bei den Alten weiter in allerbesten Händen. Und das ist, wenn dieses Wimbledon-Finale mit seinem epischen wie unvergesslichen fünften Satz irgendwann zu den Akten gelegt sein wird, vielleicht der beste aller abschließenden Gedanken zu den 133. Championships.

Es dauerte eine Weile, bis sich alle von den Aufregungen des Abends erholt hatten, vor allem dem fünften Satz, der einer neuen Regel folgend beim Stand von 12:12 im Tiebreak zugunsten von Novak Djokovic entschieden wurde.

Wer hätte sich das vorstellen können, als der All England Club im Oktober vergangenen Jahres die Änderung verkündete, Folge des Halbfinales ein paar Monate zuvor, das der Südafrikaner Kevin Anderson im zweitlängsten Spiel der Geschichte nach 6 Stunden und 36 Minuten gewonnen hatte. Zu viel und zu lang, wie alle fanden.

Ob es auf die gute alte Art anders ausgegangen wäre? Wer will das entscheiden nach einer Partie, die trotz der verordneten Abkürzung mit 4 Stunden, 57 Minuten immer noch als längstes Männerfinale der Geschichte Wimbledons in den Büchern landet und damit die legendäre Partie von Rafael Nadal und Roger Federer aus dem Jahr 2008 verdrängt? Auf die Frage, wie groß die Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Spielen gewesen seinen, antwortete Federer: „Episches Ende, so eng, so viele große Momente. Aber ich bin wieder der Verlierer, und das ist die einzige Ähnlichkeit, die ich im Moment sehe.“

Damals, nach der Niederlage gegen Nadal, hatte er gesagt, er sei am Boden zerstört. Diesmal bewegte ihn ein anderes Gefühl: Er war wütend. Nicht nur, weil er die beiden Matchbälle beim Stand von 8:7 vergeben hatte. Die Zahlen des Spiels sahen ihn in jedem einzelnen Bereich vorn, bis hin zur Zahl der insgesamt gewonnenen Punkte – auf seinem Konto standen 14 mehr. „Ich habe das Gefühl, eine unglaubliche Gelegenheit verpasst zu haben“, stellte er sichtlich frustriert fest, „ich kann es nicht glauben.“

Hätte er nur einen der beiden Tiebreaks in den ersten drei Sätzen beim 6:7, 6:1, 6:7, 6:4, 12:13 gewonnen, dann hätte es den fünften Satz mit dem historischen Ende vermutlich nicht mehr gegeben. Dafür müsste sich das Tennisvolk weltweit andererseits aber von Herzen bedanken, denn der 2 Stunden und 2 Minuten dauernde fünfte Satz entwickelte sich zum größtmöglichen Spektakel, zum puren Drama.

Federer, und das ist wirklich kaum zu glauben, spielte besser als 2017, als er in Wimbledon zum bislang letzten Mal gewann. Diese Erkenntnis wird die Wut bald besiegen, und er ist ja nach eigenem Bekunden ohnehin ziemlich gut darin, selbst schmerzhafteste Niederlagen nicht ewig mit sich herumzutragen. „Ich kann so was gut hinter mir lassen“, sagt er, „ich will keine Depression wegen eines Spiels, das in der Tat was Besonderes war.“

„Ich will keine Depression wegen eines Spiels, das in der Tat etwas Besonderes war“

Roger Federer

Wie es Djokovic trotzdem gelang, dieses Drama zu gewinnen, in dem er nicht nur gegen den Mann auf der anderen Seite spielen musste, sondern manchmal auch gegen dessen Publikum? „Ich hatte mir eines versprochen, bevor ich auf den Platz ging: dass ist ruhig und gelassen bleiben muss, weil ich ja wusste, wie die Atmosphäre sein würde.“ Und wie macht man so was, wie hält man das aus? „Manchmal versuchst du, das alles zu ignorieren, aber das ist ziemlich schwer. Ich wandele die Sache in gewisser Weise um: Wenn das Publikum ‚Roger‘ ruft, dann höre ich ‚Novak‘. Das hört sich albern an, aber so mache ich das.“

Djokovic gibt zu, dieses Finale sei vermutlich das psychisch anspruchsvollste Spiel seiner Karriere gewesen. „Das körperlich anspruchsvollste war wahrscheinlich das mit Nadal im Finale in Australien.“ Das war 2012 und dauerte fast 6 Stunden. Zum ersten Mal nach mehr als 70 Jahren gewann ein Spieler in Wimbledon nach Abwehr eines Matchballs – und es waren ja sogar zwei – den Titel, und diese unfassbare Nähe von Sieg und Niederlage gehört zu den faszinierendsten, aber auch fürchterlichsten Aspekten des Sports.

Jetzt also ist Novak Djokovic, der als Knirps seinen Leuten in den Bergen von Kapaonik in Süden Serbiens schon erklärte, er werde eines Tages in Wimbledon gewinnen, zum fünften Mal Sieger des größten Tennisturniers der Welt. „Es sieht so aus“, sagte er nach seinem insgesamt 16. Grand-Slam-Titel, „als käme ich näher, aber die beiden gewinnen ja auch immer noch.“ Er sprach von Federer mit seinen 20 Grand-Slam-Titeln und Nadal mit seinen 18. Er sprach von den großen Alten.

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