: Schleppender Neubeginn
Die Movimentos-Festwochen, das kulturelle Vorzeigeevent der VW-Autostadt in Wolfsburg, zeigen nur eine Handvoll internationale Tanzproduktionen. Denn der bisherige Veranstaltungsort steht nicht mehr zur Verfügung
![](https://taz.de/private/picture/5606664/516/954239.jpg)
Von Robert Matthies
Mit schleppenden, schwankenden Bewegungen erhebt sich das vielgliedrige Ungetüm aus dem Staub. Immer wieder gruppieren sich die mit getrocknetem Matsch beschmierten Tänzer*innen der brasilianischen Companhia de Dança Deborah Colker auf der Bühne, aber auch in Cláudio Assis‘ auf die dahinter stehende Leinwand projizierten Videoarbeit zu einer riesigen Krabbe. Dann verknoten sie sich zu dichten Mangrovenwurzeln, nur um kurz darauf zu Vögeln oder Schlangen zu werden – aber nie zum titelgebenden „Hund ohne Federn“.
Vom gleichnamigen Gedicht des brasilianischen Lyrikers João Cabral de Melo Neto hat sich Choreografin Deborah Colker zu diesem poetisch-mäandernden Tanzabend inspirieren lassen. 1950 erschien es auf Spanisch, selbst wiederum inspiriert von den sandig-schlammigen Landschaften entlang des Flusses Capibaribe im von Armut gezeichneten Bundesstaat Pernambuco, von den Tieren und Pflanzen an seinen Ufern – und den schweren Lebensbedingungen der Menschen, die dort leben.
„Hunde ohne Federn“ übersetzt Colker – auf die Cabrals Gedicht, so erzählt sie, gewirkt habe wie ein präzise gesetzter Schlag in die Magengrube – denn auch als: Menschen ohne Flügel; Menschen, denen ihre Energie und Kraft geraubt wurde; denen das Land geraubt worden ist und um deren Würde sich die Autoritäten einen matschigen Dreck scheren. Gewidmet sei das Stück nicht nur den Menschen in Pernambuco, sondern all jenen, die sich mit harten Lebensbedingungen arrangieren müssen.
Nicht nur deren Misere aber möchte Colker ausstellen, sondern ihre Stärke, ihre Entschlossenheit, ihre Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit beschwören – am Ende verwandeln sich Favelas in Boote, die aus dem zäh fließenden Brackwasser aufbrechen in die Freiheit.
Erstmals in Deutschland zu sehen ist das Stück Anfang August bei den Movimentos-Festwochen der Volkswagen-Autostadt in Wolfsburg. Insgesamt zeigt das Festival in diesem Jahr neun Tanzstücke von fünf Compagnien. Zu Colkers Truppe gesellen sich die brasilianische São Paulo Dance Company, die kanadische Gruppe Les Ballets Jazz de Montréal, die L. A. Dance Company und ein gemeinsames Projekt des griechischen Komponisten Vangelis und des britischen Choreografen Russell Maliphant.
In den vergangenen Jahren war das Programm des kulturellen Vorzeigeevents des Autobauers sehr viel üppiger. Neben Tanz gab es etliche Konzerte und Lesungen. Dass in diesem Jahr der Fokus auf einer Handvoll Deutschland- und Europapremieren liegt, hat einen ganz schnöden organisatorischen Grund: Der bisherige Veranstaltungsort, das Kraftwerk des VW-Werks, wird auf Erdgasbetrieb umgestellt und steht nicht mehr zur Verfügung. Nun findet es in der neu gebauten Halle „Hafen 1“ statt.
Fr, 19. 7., bis So, 25. 8., Wolfsburg, Autostadt/Hafen 1, www.movimentos.de
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen