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„Wir haben bis zum Ende gekämpft“

Der Kiosk von Esengül Türk in Hannover-Linden war eine Institution. Als er zwangs–geräumt werden sollte, solidarisierten sich Tausende. Geholfen hat es nicht

Interview Katharina Gebauer

taz: Wie haben Sie die angedrohte Zwangsräumung vor eineinhalb Jahren erlebt, Frau Türk?

Esengül Türk: Ich wollte ja eigentlich bis zur Zwangsräumung ausharren, mein Anwalt hat immer wieder den Stichtag nach hinten verschoben, statt sechs handelte er zehn Monate für mich raus. Irgendwann war dann Schluss, er rief mich und sagte mir, am 15. Oktober müsse alles raus. Die Ladenmöbel mussten von einem auf den anderen Tag raus und in drei angemietete Garagenräume gebracht werden: Kühlschränke, Zigarettenregale, unsere ganze Ware, einfach alles. Auf die Schnelle kriegt man das nicht verkauft.

Wie kam es zu der Entscheidung, die Kündigung auszusitzen?

Mein Kiosk war wie ein Kind für mich, ich habe alles selbst aufgebaut. Jede Ecke wurde irgendwann mal von mir umgebaut über die Jahre, das war Arbeit mit den eigenen Händen. Da steckte so viel Herzblut drin und es war weit entfernt von leicht, das einfach aufzugeben. Ich wollte Zeit schinden, um an meinen Vermieter zu appellieren, einer vierköpfige Familie nicht ihrer Existenzgrundlage zu berauben. Ich habe ihm mehrere Briefe und Mails geschrieben, nie kam etwas zurück. Zu mir in den Laden kam immer nur seine Sekretärin, er war nicht für mich erreichbar.

Hatten Sie nicht Angst?

Natürlich hatte ich große Angst, die Nächte vor dem Stichtag im Oktober konnte ich nicht mehr schlafen, ich habe nur geweint. Ich habe aber auch für all meine Unterstützer weitergekämpft, die mir mit ihren Unterschriften oder Mails an meinen Vermieter geholfen haben. Bis die Mails einfach nicht mehr ankamen, hatte ich noch Hoffnung, dass er sich besinnen würde. Er aber hat weiter Druck gemacht, denn sein Mietvertrag mit Rewe war bereits unterschrieben.

Ihr Kiosk im Hannoverschen Stadtteil Linden war bekannt, 250 Leute kamen zu der Demo gegen die angedrohte Zwangsräumung. Waren das alles Kunden von Ihnen?

Das waren alles Menschen, die ich wirklich kannte. Ich habe mich über die Unterstützung sehr gefreut, auch wenn es letztendlich leider nichts gebracht hat. Zusätzlich gab es noch eine Petition im Internet mit fast 17.000 Unterschriften, die Solidarität war groß. Im Laden hing auch eine Petition aus, innerhalb von zwei Tagen sind 3.000 Unterschriften für den Verbleib meines Kiosks zusammengekommen.

Wie haben Sie diese Unterstützung von völlig Fremden empfunden?

Ich habe mich natürlich riesig gefreut. Irgendwo hat man sich dann eben doch gekannt, ich kannte echt viele. Einmal hat man sich mindestens gesehen, wenn ein Kunde mal den Bruder, die Mama oder Cousine mitgebracht hat. Die haben dann alle unterschrieben, dazu kamen die Freunde von Freunden.

War Ihnen klar, dass Sie irgendwann raus müssen?

Nein, der Erstvertrag war befristet auf ein Jahr, ab dann war unser Mietverhältnis unbefristet. Der Vermieter versprach mir, dass mein Kiosk bleiben könne, er wollte da immer einen Kiosk sehen. Nur wenn Rossmann die Fläche hätte haben wollen, müsste ich raus. Das war aber nie der Fall. Natürlich haben wir keinen extra Mietvertrag mit diesem Versprechen unterzeichnet, mein Vermieter und ich hatten ja nie Probleme miteinander, da habe ich seinem Wort vertraut. Im Nachhinein war das ein Fehler, wie man sieht.

Weshalb wurde Ihnen damals gekündigt?

Rewe übernahm die Ladenfläche von Rossmann, daneben war mein Kiosk, die Fläche wollte Rewe dann auch. Der Vermieter hat nicht lange gefackelt und die Ladenfläche direkt an Rewe vergeben.

Haben Sie Ihre Miete immer pünktlich gezahlt?

Der Vermieter hat seine Miete immer pünktlich bekommen, ich hatte auch sonst nie Probleme mit ihm. In den fünf Jahren habe ich ihn auch nur ein einziges Mal gesehen, als wir den Vertrag unterschrieben haben.

Sie haben Ihren „Kult-Kiosk“ in Linden fünf Jahre geführt. Waren Sie davor auch schon Kioskbesitzerin?

Mein Mann und ich führten davor bereits zwei Kioske, auch beide in Linden. Zuvor war ich 13 Jahre bei der Krage Speditionsgesellschaft als Lagerarbeiterin angestellt. Ich habe keine Ausbildung gemacht, sondern habe mich bei Krage bis zur Vorarbeiterin hochgearbeitet. In dieser Führungsposition wurde mir die Kraft mitgegeben, etwas Eigenes aufzubauen. Nach all diesen Jahren war es dann so weit, ich wollte mein eigenes Geschäft führen.

Warum?

Ein Wort reicht da aus: Menschen. Die Menschen, die zu mir kommen, sind mir alle wichtig. Außer den Nachtschichten, auf die ich mal verzichten könnte, erfüllt mich nichts anderes so sehr wie mein tagtäglicher Kontakt mit Menschen.

Was haben denn für Leute bei Ihnen eingekauft?

Alle. Alle kamen zur mir, das war ganz gemischt: Kleine Kinder, ältere Damen, Alkoholiker, Drogenabhängige. Herkunft und soziale Schicht war egal, es kamen Polen, Afrikaner, Bulgaren, Spanier, Italiener, einfach alle Menschen.

Wie viel haben Sie vom Leben Ihrer Kunden mitbekommen?

Ich durfte viel mitbekommen, mir haben die Leute fast alles erzählt. Die Omis in meinem Laden haben immer von ihren Enkelkindern gesprochen, wie Omis das halt machen. Ein Mädchen hatte ganz oft Stress mit ihrem Freund, daran kann ich mich noch erinnern. Ein Mann erzählte mir, er habe seinen Vater noch nie gesehen oder andersherum eine Mutter, die fast keinen Kontakt mehr zur Tochter hatte.

War Ihr Kiosk so etwas wie ein Seelsorge-Ort?

Ja, total, manche kamen einfach nur mal so vorbei, um Hallo zu sagen, auch ohne was zu kaufen. Viele sagten zu mir, ich sei eine tolle Zuhörerin und der Kiosk sei wie ein Therapie-Ort für sie.

Rewe bot Ihnen nach der Übernahme der Kioskfläche einen Job an. Warum haben Sie ihn nicht angenommen?

Rewe hat mir zu Beginn auch Hilfe bei der Objektsuche angeboten. Zweimal haben wir versucht, Rewe deswegen zu kontaktieren, nie kam etwas zurück. Das Jobangebot war eine reine Dreistigkeit, ich habe sehr geweint. Die brauchten meinen Platz doch eigentlich gar nicht, meine alte 37m²-Fläche ist jetzt ein Pausenraum für die Mitarbeiter bei Rewe. Ich arbeite doch nicht für jemanden, der mir erst grundlos mein Geschäft nimmt und mir dann leere Versprechen auftischt, nur um gut dazustehen.

Esengül Türk

49, ist Kiosk-Besitzerin in Hannover-Linden und Mutter zweier Söhne. Gegen die Räumung ihres bisherigen Kiosks gab es breiten Protest mit Demo und 17.000 Unterschriften. Im Herbst beginnt sie neu: Dann eröffnet sie einen neuen Kiosk in Linden.

Wie erging es Ihnen unmittelbar nach dem Rausschmiss?

Ich musste mich zunächst arbeitslos melden, damit wir Arbeitslosengeld bekommen konnten. In dieser Zeit haben wir immer wieder nach Objekten auf der Limmerstraße gesucht, denn ich kann nicht von morgens bis abends den ganzen Tag nur zu Hause herumsitzen und nichts tun. Das Arbeitsamt bot mir mal einen Job in einem Hähnchenladen an, aber damit habe ich ja überhaupt keine Erfahrung. Anfangs fühlte ich mich zudem einfach nicht in der Lage, zu arbeiten.

Was haben die letzten eineinhalb Jahre ohne Existenzgrundlage mit Ihnen gemacht?

Es hat mich und meine Familie psychisch kaputt gemacht, aber wir haben bis zum Ende gekämpft. Ich konnte die erste Zeit danach kaum schlafen. Sechs, sieben Monate war ich ausschließlich zu Hause, wirklich nur zu Hause, ich konnte nicht mehr nach draußen. Auf die Limmerstraße traute ich mich nicht, ich spürte die Blicke und jeder fragte mich aus. Diese Unterstützung war zwar schön, aber diese immer gleichen Fragen taten sehr weh. Das hat uns kaputt gemacht, wir mussten eine sehr schlimme Zeit durchleben.

Seit letzter Woche haben Sie einen neuen Kiosk gemietet, 500 Meter von Ihrem alten entfernt. Musste es Linden sein?

Ja, unbedingt! Linden ist Multi-Kulti und ich fühle mich sehr wohl hier. Meine Kunden kannten mich damals sehr gut, wer einmal in meinem Laden war, der wurde direkt Stammkunde. Wir haben nach unserer Räumung immer wieder geguckt, ob es auf der Limmerstraße ein Objekt für uns gibt.

Wurde bei Ihnen gefeiert, als klar war, dass Sie einen neuen Kiosk haben?

Ich habe das zuerst gar nicht richtig realisiert, ich konnte das einfach nicht glauben. Erst als der Mietvertrag unterschrieben war, konnte ich aufatmen und mich freuen. Gefeiert wird bei der Eröffnungsfeier, bis dahin dauert es aber noch etwa zwei Monate, uns steht noch viel Arbeit bevor.

Erhalten Sie immer noch Unterstützung?

Momentan ist meine neuer Laden abgeklebt, niemand sieht etwas, es ist ja alles noch total frisch. Sobald ich aber draußen anfange, etwas zu machen, dann werden alle kommen und auch helfen, das ist bei uns Lindener Leuten so. Alle freuen sich, dass ich wieder dabei bin.

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