portrait : Großer Elektriker zieht den Stecker
Lech Wałęsa will aus der Gewerkschaft Solidarność austreten. Aber erst nach dem großen Jubiläum. Einmal noch will sich der 61-Jährige Ende August groß feiern lassen, Staats- und Regierungschefs aus aller Welt empfangen und im Scheinwerferlicht stehen: „Lech Wałęsa, Gründer der ersten unabhängigen Gewerkschaft im Ostblock“, „der Arbeiter, der den Kommunismus besiegte“ oder einfach „der große Elektriker“.
Doch dann soll Schluss sein. Denn mit der Solidarność von heute habe er nichts mehr zu tun. Das seien junge Leute, für die die Gründerjahre ebenso Geschichte seien wie der Gründer. Noch nehmen die Polen Wałęsas Ankündigung nicht ernst. Schließlich ist der Bauernsohn aus Popowo berühmt für seinen Ausspruch: „Ich bin dafür und sogar dagegen.“
1980 ging ein Bild um die Welt, das Wałęsa zur Ikone des Widerstands im damaligen Ostblock werden ließ: Die Arbeiter der Leninwerft trugen ihren Streikführer mit dem Schnauzbart jubelnd auf ihren Schultern. Denn in Danzig war etwas Unvorstellbares geschehen. Die kommunistische Partei hatte die Forderung nach freien Gewerkschaften erfüllt. Wałęsa, der schon 1970 bei den blutig niedergeschlagenen Streiks eine Rolle spielte, wurde zum Vorsitzenden der Solidarność gewählt. Begeistert schlossen sich zehn Millionen Polen an.
Am 13. Dezember 1981 war der „Karneval“ vorbei. General Wojciech Jaruzelski verhängte das Kriegsrecht, ließ alle Oppositionellen und Arbeiteraktivisten verhaften. Doch die Welt hatte Wałęsa nicht vergessen. 1983 erhielt der freigelassene Arbeiterheld den Friedensnobelpreis. Die Solidarność bestand im Untergrund fort. Da ihr Logo verboten war, heftete sich Walesa ein kleines Bild der Schwarzen Madonna von Tschenstochau ans Revers. Gegen die Madonna, den polnischen Papst und die überall an die Wände gepinselte Schildkröte – „Arbeite langsamer, Genosse! – kam die Partei nicht an.
Im Frühjahr 1989 nahm die KP am „Runden Tisch“ wieder Gespräche mit der Opposition auf und gestand der Solidarność überraschend halbfreie Wahlen zu. Tatsächlich gewann sie alle zugestandenen Sitze im Parlament. Nur einer schien verloren zu haben: Wałęsa. Den hielten die Intellektuellen schlicht für zu dumm für eine so verantwortungsvolle Aufgabe. Der siegreiche Arbeiterheld sah sich aufs Abstellgleis gestellt. 1990 kandidierte er trotzig bei den Präsidentenwahlen – und zog ins Belvedere ein. Das war die Krönung der politischen Karriere des achtfachen Vaters. Die Wahlen 1995 verlor Wałęsa gegen den Postkommunisten Aleksander Kwaśniewski. Seither reist er viel und repräsentiert Polen und die Solidarność im Ausland. GABRIELE LESSER