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Der Zorn der Tschechen und Babiš’ Arroganz

Hunderttausende haben am Sonntag in Prag protestiert und den Rücktritt des tschechischen Regierungschefs gefordert. Doch der will nicht zuhören

Aus Prag Alexandra Mostýn

In einem bunten Politkarneval fanden die Proteste gegen Tschechiens Ministerpräsidenten Andrej Babiš am Sonntag ihren Höhepunkt. Seit April schwappt eine Welle von Demonstrationen durch die Republik, die mehr und mehr Menschen erfasst hat. Als sie am Sonntag bei bestem Kaiserwetter auf der Prager Letná-Ebene kulminierte, war sie zu einer Masse von 250.000 angeschwollen.

Die skandierte zwar Forderungen nach dem Rücktritt von Andrej Babiš. Keiner glaubt aber wirklich daran, dass der Regierungschef diesem Ruf folgt. Warum sollte Babiš auch zurücktreten. Gerade jetzt, wo sich die Schlinge immer enger um seinen Hals zu ziehen scheint?

Die Causa Storchennest lässt Andrej Babiš nicht mehr los und hat ihn in eine Ecke gedrängt. Sollte Babiš tatsächlich das geplant haben, was ihm die Demonstranten vorwerfen und die Justiz beeinflussen wollen, wird ihm das nun nicht mehr gelingen.

Die Demonstrationen haben ihm gezeigt, dass immer mehr TschechInnen achtsam sind. Ihr da oben, signalisieren die Proteste, wir haben ein Auge auf euch und auf die Demokratie im Land.

Für Andrej Babiš mag das eine ungewohnte Erkenntnis sein. „Alles lässt sich kaufen“, hämte er noch, als er 2011 die politische Bühne betrat. Die Viertel Million Menschen, die Babiš am Sonntag in Prag ein entschlossenes „Genug“ entgegenhielt, prüfen seine politische Prämisse von der Käuflichkeit der Macht, als falsch. Was sich Babiš mit all seinen Milliarden nicht einfach erwerben kann, ist Legitimität.

Das und nichts anderes legen die Proteste offen. Ob er das versteht, ist fraglich. Seine Reaktionen sind arrogant. „Gründet eine Partei“, ließ Babiš den Demonstranten ausrichten. Die verlangen aber Antworten.

Zu dem Betrugsverdacht gegen Andrej Babiš, der sich weiter erhärtet. Oder Erklärungen für die merkwürdigen Praktiken der Agrofert-Holding von Andrej Babiš, die die EU zu Tage gefördert hat. Überhaupt die Agrofert-Holding. Die musste Babiš laut einem eigens für ihn gemachten Gesetz einer Treuhand unterstellen. Aber wer kontrolliert sie?

Fragen, die seit Jahren im Raum stehen. Dass Andrej Babiš ein Oligarch ist, der das Handwerk gelernt hat, um politische Macht zu nutzen und seine wirtschaftliche Macht auszudehnen, ist bekannt. Dennoch gewann Andrej Babiš mit seiner Partei ANO 2017 die Wahlen und liegt in den Wählerpräferenzen konstant um 30 Prozent.

Die Proteste sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Babiš ein demokratisch und frei gewählter Regierungschef ist, der über genug Rückhalt in der Gesamtbevölkerung verfügt. Tschechiens Zivilgesellschaft mag zwar in Massen gegen Babiš und seinen Regierungsstil aufbegehren. Aber was kommt nach den Happenings, den kreativen Transparenten?

Die Anti-Babiš Proteste haben das liberale Bildungsbürgertum, die jungen Hipster und die intellektuelle Elite des Landes zu einem Schulterschluss gebracht. Dieses Momentum droht aber ins Leere zu laufen. Es gibt keine Persönlichkeit, die den Protesten ein Gesicht gibt und als Galionsfigur der Zivilgesellschaft den Oligarchen Babiš herausfordert. Keinen Plan, die Anti-Babiš-Laune in politisches Gewicht umzusetzen.

„Wir wollen einen Premier, der nicht so viele Probleme hat“

Mikulas Minar, Demonstrant

Die Demonstrationen haben eine weitere Schwäche. Wenn Babiš den Rücktrittforderungen der Demonstranten nachkommen würde, wüsste keiner, wie weiter. Präsident Zeman würde ins Spiel kommen, und der würde Babiš weiter die Stange halten. Und geht man von den Wählerpräferenzen aus, würde Babiš mit seiner ANO die nächsten Wahlen ebenfalls gewinnen.

Kommende Woche übernimmt die Opposition die Stafette. Sie plant am Mittwoch ein Misstrauensvotum gegen Babiš. Dem kann der entspannt entgegenblicken. Die Sozialdemokraten haben angekündigt, ihn und die Regierung zu stützen. Die einst stolze Partei ist zu Babiš’ Pudel degradiert. Bei den EU-Wahlen im Mai kam sie nicht einmal auf 4 Prozent. Ohne Zukunft haben die Sozialdemokraten wenig Grund, sich die politische Gegenwart durch einen Regierungssturz zu verkürzen.

Jetzt ist aber erst Sommerpause. Die nächste Demonstration ist für den 16. November geplant, den Vorabend der „samtenen Revolution“.

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