Zornige Bürger im Klassenkampf

Mittelschicht gegen Mittelschicht: Die Soziologin Cornelia Koppetsch sieht in den Wohlstandsängsten der Mittelschicht eine Gefahr

Cornelia Koppetsch: „Die Gesell­schaft des Zorns“. Transcript Verlag, Bielefeld 2019, 288 Seiten, 19,99 Euro

Von Edith Kresta

Ist Cornelia Koppetsch eine Rechtspopulisten-Versteherin? Keineswegs, sondern ein Soziologin, die ihr Handwerk kann. Dazu lässt sie sich auf ihren Untersuchungsgegenstand ein, hat keine Berührungsängste. Für ihre Forschung besuchte sie rechte Parteitage, spricht mit Mitläufern und führenden Vertreterinnen der rechten Szene.

„Rechtspopulismus zeigt gewissermaßen einen Strukturwandel und einen Mentalitätswandel an, die durch einen politisch und gesellschaftlich bislang unbewältigten Epochenbruch ausgelöst worden sind“, formuliert sie in ihrem neuen Buch „Die Gesellschaft des Zorns“. Darin untersucht sie die Neuordnung des politischen Raums, die neuen Trennlinien und neue deutsche Ängste. Ein gründliche, ergebnisoffene Untersuchung.

Cornelia Koppetsch analysiert den Rechtspopulismus jenseits mentaler und ideologischer Zuschreibungen. Sie beschreibt ihn in erster Linie als „emotionale Reaktion auf die Folgen der Globalisierung“, eine gesellschaftliche Umwälzung, die in ihrer Brachialität mit der Industrialisierung gleichzusetzen ist, die Sozialstruktur untergräbt und die gesellschaftliche Kultur verändert. Das Gesellschaftsmodell der Industriemoderne mitsamt ihrer nationalen Eliten gehöre heute der Vergangenheit an. Der grenzüberschreitende Kapitalismus stecke zwar hinter dem epochalen Wandel, innergesellschaftlich äußere er sich aber als Kulturkonflikt, als Machtkampf zwischen Globalisierungsgewinnern und -ver­lieren.

Ein Konflikt zwischen einer kosmopolitischen, urbanen Mittelschicht und einer Mittelschicht, die mit dem rasanten Abbau der national ausgerichteten Industriemoderne nicht zurechtkommt. Sie verbündet sich mit einem „transnationalen Unten“ – unqualifizierte Arbeitnehmer, schlecht bezahlte Dienstleister. Sie haben die alte Arbeiterklasse abgelöst. Das Zornpotenzial dieser national eingestellten Mittelschichten und der neuen Unterschicht entlade sich im Wunsch nach Restauration als Mittel gegen den Kontrollverlust.

Zu den Globalisierungsgewinnern gehöre auch die „ neue, grüne, freundliche Welt (Reckwitz), die akademisierte Mittelschicht. Koppetsch, selbst Teil davon , kritisiert deren Selbstgerechtigkeit. Diese aufgeklärten Kosmopoliten kritisierten zwar die Missstände dieser Welt, aber die weltweite Ausbeutung – Grundlage der eigenen Existenz und Motor des Rechtsdralls – wird sorgsam ausgeblendet. Koppetsch wirft den „neubürgerlichen“ Schichten Heuchelei vor. Während die globale Oberschicht durch die Welt jettet, mitberät und mitverdient, gelange die Masse nicht einmal zu bescheidenem Wohlstand, weil der Einfluss von Volksparteien, Gewerkschaften an den Landesgrenzen endet. Ein weiterer Aspekt des aktuellen Globalisierungsschubs sei der Souveränitätsverlust der Nationalstaaten und der Dominanzgewinn von ökonomischen gegenüber politischen Akteuren.

Während die Rechtspopulisten erstarken, laufen den Volksparteien die Wähler davon. Sie haben keine Antworten auf Zukunfts- und Wohlstandsängste. Davon lebe die AfD, die diffuse Ängste aufgreift und Katastrophenszenarien schürt. „Wenn die Zeichen nicht trügen“, so Koppetsch, „stehen uns konfliktreiche Zeiten bevor.“