piwik no script img

Wortgefechte um Liebe, Arbeit und Weiblichkeit

Stummer Groll, Momente von gegenseitigem Verständnis: Über ihre Mutter schrieb Vivian Gornick ein Memoir, das zum Klassiker der US-Frauenbewegung wurde. Nun ist es endlich auf Deutsch erschienen: „Ich und meine Mutter“

Von Carola Ebeling

Es ist ja nicht nur ihr so gegangen: In einem aktuellen Interview erzählte die fast 84-jährige US-amerikanische Autorin Vivian Gornick, dass nicht wenige Frauen ihrer Generation in den 1970er Jahren verstehen wollten, warum es sie so unglücklich machte, das traditionell für sie vorgesehene Leben zu führen – ein Leben als Ehefrau und Mutter, in dem Bildung und Arbeit kaum eine Rolle spielten.

Für Feministinnen wie sie ergab sich daraus fast zwangsläufig, die Beziehung zu ihren Müttern zu hinterfragen, die solch ein Leben geführt und auch die Töchter dazu erzogen hatten.

Sie selbst aber beschäftigte die Beziehung zu ihrer Mutter so sehr, dass sie ein Buch darüber schrieb, das zu einem Klassiker der US-amerikanischen Frauenbewegung wurde: 1987 erschien „Fierce Attachment: A Memoir“, endlich liegt es nun nach über dreißig Jahren als erstes Werk der Journalistin und Schriftstellerin auch auf Deutsch vor. Ein später Glücksfall, denn mit „Ich und meine Mutter“ ist eine ungeheuer wahrnehmungswache und mitreißende Autorin zu entdecken.

Gornick, 1935 als Kind jüdischer EinwanderInnen in der Bronx geboren, lässt das damalige New York lebendig werden, das Zusammenleben in den engen Mietshäusern. Sie erzählt von einer Welt der Frauen, in deren Mittelpunkt ihre Mutter steht. In der Wohnung ­gehen die Nachbarinnen ein und aus. Ein „intensiv gespaltenes Leben“: Zwischen sprudelnder Lebendigkeit und einem Gefühl der Leere schwankt die Mutter täglich, die auf Wunsch des Ehemanns die Berufstätigkeit aufgegeben hat und in der Folge die Liebe zu ihm idealisiert. Und sich nach seinem Tod – sie ist 46, die Tochter zwölf Jahre alt – ganz mit der Trauer identifiziert.

Vivian Gornick: „Ich und meine Mutter“. Aus dem Englischen von pociao. Penguin, München 2019. 222 Seiten, 20 Euro

„Die Luft, die ich atmete, war erfüllt von Mamas Trauer, schwer und verwirrend, erregend und gefährlich. Schmerz wurde zu meinem Element, zu dem Land, in dem ich lebte, zu der Regel, der ich mich beugte“, schreibt Gornick. Wenig später ist vom „klaustrophobischen Wesen ihrer Gegenwart, ihrem Sein, ihrer erstickenden, leidenden Weiblichkeit“, der sie als junges Mädchen nicht entkommen konnte, die Rede.

Gornick schreibt sehr offen, doch eine Abrechnung mit der Mutter ist das Buch nicht. Es ist von zwei Zeitachsen gegliedert. Die eine reicht weit in die Vergangenheit, schildert Kindheit, Jugend, Studium, eine frühe Ehe; auf der anderen bewegen sich Mutter und Tochter auf endlosen Spaziergängen durch das New York der 1970er und 80er Jahre. Hier erinnern sie sich, streiten, liefern sich hitzige Wortgefechte, schleudern einander stummen Groll entgegen und schenken sich seltene Momente von gegenseitigem Verständnis. Alles kreist letztlich um die Frage, wie ein Leben zu leben ist – als Frau. Geschickt wechselt die Autorin zwischen beiden Zeitebenen hin und her.

Gornick will verstehen, wieso die Einflüsse der Mutter sie prägen „wie Farbe einen besonders saugfähigen Stoff“, obwohl sie sich doch ganz bewusst für ein anderes Leben entschieden hat. Die erregende Entdeckung des Denkens, die ihr am College widerfährt, ist für diese Entscheidung ganz wesentlich, sie verändert die Relationen von Liebe und Arbeit. Sie will das produktive Denken keinesfalls der Liebe unterordnen und verzweifelt nicht selten daran, beides zu verbinden.

Alles in diesem Buch kreist letztlich um die Frage, wie ein Leben zu leben ist – als Frau

Die Mutter kann mit Gornicks Beruf nichts anfangen, die 1969 als Journalistin bei der Village Voice beginnt, die erwachsene Tochter wünscht sich dennoch immer wieder Anerkennung. Beide fühlen sich missverstanden. Die überaus lebendigen Schilderungen dieser Mutter-Tochter-Dynamik haben kein Verfallsdatum. Ebenso wenig das Thema des Ringens um Erkenntnis über sich selbst und um ein Leben, das als eigenes empfunden werden kann. Und auch die klug beobachteten Mechanismen in den Paarbeziehungen sind oft noch ähnlich wirksam.

Anhand konkreter Situationen und Begegnungen erzählt Gornick von ihren Kämpfen, ihren Selbstzweifeln und Glücksmomenten und gelangt von dort zu über das Private hinausgehenden Reflexio­nen, das macht ihr Schreiben so anschaulich. Denken, das ist für sie keine rein rationale Angelegenheit. Die Verbindung von Intellektualität und Emotion, feinster auch sinnlicher Wahrnehmung durchdringt ihr ganzes Schreiben und bringt es zum Leuchten.

Dem konnte sich auch Gornicks Mutter anscheinend nicht ganz entziehen, die nach der Publikation zwischen Wut und Anerkennung schwankte. Um das erfolgreiche Buch schlussendlich sogar gern mit dem Argument zu signieren, sie sei zwar nicht die Autorin, aber schließlich hätte es die Tochter ja ohne sie nie geschrieben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen