piwik no script img

wortwechsel„Große Ziele sind von großer Hybris geprägt“

… sagte der Soziologe Armin Nassehi im taz-Interview; er plädiert für „Bündnisse zwischen den Denkungsarten unterschiedlicher Systeme und Funktionslogiken“ in der Klimakrise

„Ziele formulieren kann jeder“,

taz vom 15./16. 6. 19

Grüne schweigen zu viel

In meinem Bekanntenkreis gibt es neuerdings eine enorme Zustimmung für die Grünen von Leuten, die zur gehobenen Mittelschicht gehören, aber auf ihren Lebensstil nicht verzichten wollen.

Der Verzicht auf das Auto ist bei ihnen unvorstellbar.

Die Präferenz von Herrn Unfried für Schwarz-Grün kann ich nicht nachvollziehen. Wenn ich mir mein Bundesland Hessen betrachte, stelle ich fest, dass unser Wirtschaftsminister Al-Wazir den Ausbau des Frankfurter Flughafens unter seiner Regie genehmigt hat und beim Spatenstich mit Abwesenheit glänzte, um zu vermeiden, dass dies publik werden würde.

Unter Schwarz-Grün hat der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) den „Big Brother Award“ verliehen bekommen, weil er für den bundesweit erstmaligen Einsatz von einer Software der CIA-nahen Firma Palantir für die Dateienauswertung im hessischen Polizeidienst verantwortlich ist. Von den Grünen kommt dazu nur Schweigen.

Beuths Meinung, dass die Einbeziehung der Wirtschaft in den ökologischen Wandel unerlässlich ist, zeigt sich sehr deutlich in Stuttgart beim Daimlerkonzern, der heute vollelektrische SUVs entwickelt, in denen fast eine Tonne an Batterien verbaut wird, worunter ganze Regionen in Südamerika leiden, da dort unter unerträglichen Umständen Silizium gewonnen wird. Thomas Klucke, Hofheim

CO2-Preis ist zu niedrig

Viele Länder haben eine CO2-Steuer bereits eingeführt, ihre Wirkung ist ganz unbestritten, insbesondere, wenn sie stufenweise – angekündigt und somit planbar – erhöht wird. Gerade bei den „sozial schwachen Menschen“, wie Herr Nassehi sie nennt, wäre eine Lenkungswirkung zu erwarten, aber auch der Mittelstand fliegt gerne mal von München nach Berlin, weil es so schön günstig ist. Wer ist denn schon so dumm, mehr Geld für die Bahn zu bezahlen, wenn’s mit dem Flugzeug billiger und schneller geht? Fliegen, Autofahren, Heizen, Fleischessen und viele andere Dinge, die uns lieb (aber eben nicht teuer) geworden sind. müssen einen höheren Preis erhalten. Dazu müssen sie nicht verboten werden, der Markt regelt das ganz von selbst. Auf ähnliche Weise funktioniert auch der EU-Emissionshandel, der derzeit lediglich daran krankt, dass der CO2-Preis zu niedrig ist und dass nicht alle Sektoren (wie der Verkehr) mit einbezogen sind. Nicht ganz verständlich finde ich deshalb, dass die taz solche Autoren zu Wort kommen lässt, die gegen diese Instrumente zu Felde ziehen. (Auch Herr Heisterhagen durfte in der taz gegen die CO2-Steuer und gegen den Emissionshandel polemisieren.) Erich Lerch, Augsburg

Kurzatmige Systemkritik?

Die drei Säulen der Argumentation von Armin Nassehi – divergierende Systeme, unterschiedliche Logiken und das große Ganze als Fiktion – verbinden sich zu einer in ihrer Substanz konservativen Apologetik herrschender Verhältnisse. Die eigentlich notwendige Kritik an ihnen wird von ihm verhindert, weil sein pseudokritisches begriffliches Jonglieren mit Sub-Systemen und ihren sub-logischen Anteilen einen erhellenden Blick auf das uns krankmachende kapitalistische System und auf seine Profit- und Zerstörungslogik vernebelt. Diese systemimmanente Kurzatmigkeit darf als loyal und mainstreamkorrekt, muss aber gerade deshalb als anachronistisch verortet werden, angesichts kraftvoller sozial-politischer Bewegungen, die sich nicht in diskursive Sackgassen locken lassen. Zahlreiche wissenschaftliche Interventionen vieler KlimaforscherInnen, die in den aktuellen menschen- und naturvernichtenden politischen und ökonomischen Logiken das zu überwindende Übel sehen, haben theoretisch und praktisch das utopische und deshalb so hoffnungsvolle große Ganze im Blick. Sie tragen schon das Material für ein neues, in seiner Substanz friedliches und gerechtes System des menschlichen Miteinanders zusammen, wo Nassehi das alte noch irgendwie partei- oder wirtschaftspolitisch legitimiert. Günter Rexilius, Mönchengladbach

Nach Diktat verreist

„Jenseits der Gutverdiener“, taz 17. 6. 19

Dass die „Grünen“ inzwischen eine Partei geworden sind, die im Grunde nur noch für bestimmte Umweltpolitik und in allen übrigen politischen Bereichen für nichts Bestimmtes mehr steht, wundert eigentlich nicht. Seit dem Neoliberalismus der neunziger Jahre wurde unter dem Diktat der totalen Ökonomisierung allem die offene Mehrdeutigkeit des Namens zugunsten einer unmissverständlichen Eindeutigkeit der Funktionialität ausgedünnt. Jede Marke, inklusive die einer politischen Partei, sollte für ein bestimmtes, auf dem Markt leicht interpretierbares Mono-Produkt stehen. Aus den „Grünen“, deren Farbe einstmals für die Vegetation vielfältiger politisch progressiver Ideen, für eine gewisse, oft bereits äußerlich signalisierte Wildheit in Denken, in Sinnlichkeit und Verhalten, für nichtreaktionäre Natur­affinität, für Mitweltempathie und Natürlichkeit im Umgang miteinander stand, ist inzwischen eine neoliberal anmutende, gänzlich de-utopisierte Technokratenpartei für Umwelttechnik geworden, die sich offenbar längst von der Empathie mit allen lebenden Mitbewohnern dieses Planeten verabschiedet und dem Schutz des menschlichen Egos vor den zerstörerischen Folgen seines Verhaltens zugewendet hat. Wolfram Hasch, Berlin

Option Zuversicht

„Die Apokalypse als Ausrede“,

taz vom 17. 6. 19

Ist es zu spät? Für 1,5 Grad definitiv ja. Für 2 Grad ja. Im Bereich über 2 Grad kommt es auf das Auftreten von Kipppunkten an. Ob die verlorenen letzten 15 Jahre das Blatt zum Verträglicheren gewendet hätten, sei dahingestellt – diese Zeit fehlt. Eine Weltgesellschaft, die 1972 vom Klimawandel noch nicht wusste, sondern Ressourcenknappheit befürchtete, hat seit RIO 1 (1992) bis Paris 2015 Unerwartbares geleistet. Damit fortzufahren ist unsere Option. Klaus Warzecha, Wiesbaden

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen