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Archiv-Artikel

„Schluss mit Lobbyismus!“

PHÄNOMEN Kein Tempolimit trotz Klimawandel. Warum? Und wer vertritt welche Interessen? Das neue taz-Buch zur „fünften Gewalt“

BERLIN taz | Obwohl das weltweit frei vagabundierende Spekulationskapital ein Krisenrisiko ersten Ranges ist, gelingt es nicht, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen; obwohl schneller fahrende Autos mehr klimaschädliche Abgase emittieren, gibt es kein Tempolimit auf der Autobahn. Selbstverständliche Dinge wie Hallenbäder oder Glühbirnen verschwinden, ungesunde Lebensmittel werden nicht deutlich gekennzeichnet, Flugzeuge verpesten steuerfrei die Luft, immer mehr Kinder werden mit Psychopharmaka gedopt, der aussichtslose „Krieg gegen Drogen“ wird ständig weiter geführt, in den Städten stirbt der Einzelhandel, stattdessen sprießen Spielhallen wie die Pilze aus dem Boden. Vertreter bestimmter Industrieverbände sind direkt in Ministerien angestellt; Minister lassen sich Finanzgesetze von externen Bankberatern schreiben, Politiker wechseln nach Ablauf der Amtszeit nahtlos in Großkonzerne und durch die Drehtür wieder zurück in ein Amt …

Warum das alles geschieht ? Darauf gibt es ein kurze Antwort: Lobbyismus!

Und es gibt ein neues Buch, dem auch das hier abgedruckte Interview entnommen ist, in dem Autorinnen und Autoren der taz diesem Phänomen anhand von fünfzig Beispielen auf den Grund gehen. Und deutlich machen, dass wir heute zu Recht neben Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung sowie den Medien als vierter Gewalt von einer „fünften Gewalt“ des Lobbyismus sprechen müssen. Eine Entwicklung, bei der es sich – wie die Herausgeberin Ines Pohl im Vorwort des Bands schreibt – „genau betrachtet aber um einen Rückschritt in autokratische Systeme handelt, wo einst privilegierte Hofschranzen in den Vorzimmern der Macht ‚antichambrierten‘, um ihre Partikularinteressen durchzudrücken“.

Interessenvertretung ist eine Grundlage der Demokratie und Lebensader der politischen Willensbildung. Einflussnahme auf politische Entscheidungen soll und muss es geben – doch dabei muss klar sein, wer welche Interessen warum vertritt. Zu verhindern, dass sich Partikularinteressen zuungunsten des Gemeinwohls durchsetzen, liegt im ureigenen Interesse jedes demokratischen Systems. Die Beiträge des Buch zeigen, in welchen Bereichen und welchem Umfang Lobbyisten heute tätig sind, und sie fordern: Mehr Transparenz bei den politischen Entscheidungsfindungen und Schluss mit den illegitimen Auswüchsen des Lobbyismus.

■ Mathias Bröckers, Ines Pohl (Hrsg.): „Fünfzig einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt: Schluss mit Lobbyismus!“. Westend-Verlag 2012, 225 Seiten, 14,99 Euro