Brasiliens Präsident Lula schmiert ab

Nach immer mehr Enthüllungen im Korruptionsskandal ringt sich Brasiliens Präsident Lula da Silva zu einer halbherzigen Entschuldigung durch. In seiner Arbeiterpartei (PT) herrschen Nervosität und Wut, manche an der Basis beklagen bereits Verrat

„Die Krise eröffnet die Chance auf einen Kurswechsel in Lulas neoliberaler Politik“

AUS PORTO ALEGRE GERHARD DILGER

In Brasiliens Arbeiterpartei PT liegen die Nerven blank. Täglich kommen neue Fakten über die Korruptionsaffäre ans Tageslicht, die die Partei von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gänzlich zu verschlingen droht. Letzte Woche sagte Duda Mendonça, der 2002 die erfolgreiche Wahlkampagne Lulas gemanagt hatte, vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aus. Im Auftrag der PT, so der Marketingspezialist, habe er 2003 umgerechnet 5,4 Millionen Euro am Fiskus vorbei erhalten – das meiste davon auf ein Konto auf den Bahamas, geringere Beträge in bar.

Daraufhin brachen im Plenarsaal mehrere PT-Abgeordnete in Tränen aus. „Die Geschichte wird jenen nicht verzeihen, die den Traum der brasilianischen Bevölkerung in den Dreck ziehen“, sagte Chico Alencar aus Rio. Tags darauf schrieb er: „Wir weinten über die Macht des Geldes, über die Erkenntnis, die wir immer noch widerlegt sehen wollen: Die Macht ändert die Menschen nicht, sondern sie bringt deren wahres Gesicht zum Vorschein.“ Die 26 Parlamentarier der „freien PT“, die sich nicht mehr an die Anweisungen der Fraktionsspitze gebunden fühlen, geißeln den „Verrat der Hoffnung“ und fordern Disziplinarmaßnahmen gegen jene Parteifunktionäre und sieben Abgeordneten, die nachweislich Schmiergeld erhalten haben.

Zudem mehren sich die Hinweise darauf, dass Lula über manche zwielichtige Absprache im Bilde war. So sagte der liberale Parteichef Valdemar da Costa Neto, die PT habe ihm im Wahlkampf 2002 rund 3,4 Millionen Euro zugesagt – mit Wissen des Kandidaten, dessen Bündnis mit den Rechtsliberalen auf konservative WählerInnen abzielte. Der notorisch korrupte Costa legte bislang als einziger Abgeordneter sein Mandat nieder, gegen 18 weitere wurden jetzt Enthebungsverfahren eingeleitet.

Von „Verrat“ redete auch der Staatschef in einer Fernsehansprache am Freitag. Doch seine Beteuerungen, er habe von den Machenschaften seiner engen Vertrauten nichts gewusst und sei empört, klangen hohler denn je. Die PT und die Regierung müssten sich für ihre Fehler entschuldigen, so Lula. Eigene Versäumnisse räumte er allerdings nicht ein, ebenso wenig wie er die „Verräter“ zur Rechenschaft ziehen möchte. Die Rede sei „nicht ausreichend“, urteilte selbst der neue Parteichef Tarso Genro, der im Auftrag des Präsidenten die PT durch behutsame Reformen zusammenzuhalten versucht.

Echte Empörung herrscht hingegen an der Basis. Die Gruppe um Lulas ehemaligen Chefstrategen José Dirceu halte mit einer „Mischung aus Stalinismus und Gewerkschaftsklüngel“ immer noch die Fäden in der Hand, sagt die 32-jährige Aktivistin Katarina Peixoto aus Porto Alegre. Lula regiere für das Finanzkapital und stelle die Armen mit Haushaltszuschüssen ruhig, dem so genannten Familienstipendium, sagt Peixoto. Die Mittelschicht jedoch, aus der das Gros der PT-Mitglieder stammt, habe sich materiell verschlechtert und sei enttäuscht über den politischen Stillstand auf fast allen Gebieten.

Anders als jene, die jetzt der PT enttäuscht den Rücken kehren, hofft Peixoto noch auf die bevorstehende Direktwahl der Parteiführung: „Die Krise eröffnet die Chance auf einen echten Neuanfang – und auf einen Kurswechsel in Lulas neoliberaler Finanzpolitik.“ Dafür gingen gestern in Brasília Lula-nahe Gewerkschafter und die Landlosenbewegung MST auf die Straße.

Neben Tarso Genro bewerben sich eine weitere „Gemäßigte“ und fünf Linke um den Parteivorsitz, darunter Raul Pont, wie Genro Exbürgermeister von Porto Alegre. Der Ausgang ist völlig offen. Pont führt die Krise der PT auf drei Ursachen zurück: Die politischen Allianzen im Parlament mit den daraus resultierenden Praktiken, die Erstickung der innerparteilichen Demokratie durch Lulas „Mehrheitslager“ und die „Auflösung sozialistischer Werte“, eine Entwicklung, die 1995 unter dem Vorsitz Dirceus eingeleitet wurde.

In einem Punkt allerdings sind sich die meisten Linken mit der bürgerlich-konservativen Tageszeitung O Estado de São Paulo einig: „Mit Lula ist es schlimm, ohne ihn wäre es jetzt noch schlimmer,“ schrieb das Blatt in einem Leitartikel.

Bei einem Amtsenthebungsverfahren gegen Lula, mit dem manche Oppositionspolitiker liebäugeln, befürchten die Konservativen wirtschaftliche Turbulenzen. Der Präsidentenwahl 2006 kann das bürgerliche Lager beruhigt entgegensehen: Nach Umfragen würde Lula derzeit gegen José Serra verlieren, seinen Kontrahenten von 2002 und Bürgermeister von São Paulo.