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Archiv-Artikel

Hartz IV schuld an Österreichs Arbeitslosigkeit

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel beschuldigt deutsche Gastarbeiter, im österreichischen Sozialstaat zu schmarotzen

WIEN taz ■ Hartz IV ist jetzt auch noch an der Arbeitslosigkeit in Österreich schuld. Das jedenfalls behauptet Bundeskanzler Wolfgang Schüssel von der konservativen ÖVP. „Es ist jetzt plötzlich sehr viel attraktiver geworden, bei uns Arbeitslosenunterstützung zu bekommen“, so Schüssel zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Damit entstaubte er das früher vor allem von Jörg Haider bemühte Feindbild ausländischer „Sozialschmarotzer“.

„Fassungslos“ reagierte der Bundesgeschäftsführer der Sozialdemokraten, Norbert Darabos. Schließlich solle der Kanzler wissen, „dass man in Österreich erst dann Arbeitslosengeld kassieren kann, wenn man in zwei Jahren 52 Wochen beschäftigt war“. Und sein Parteikollege, der ehemalige Innen- und Wissenschaftsminister Caspar Einem, kommentierte: „Ja, es ist wahr, die Zahl der Gastarbeiter aus Deutschland hat stark zugenommen. Sie haben zumeist andere Ausländer von schlecht bezahlten Tourismusjobs verdrängt.“ Die österreichische Arbeitslosigkeit sei aber „weitestgehend hausgemacht“. Einem sieht die Gründe in Maßnahmen wie in der Vergrößerung des Kontingents für rechtlose Saisonarbeitskräfte sowie in der Wirtschafts- und Steuerpolitik.

Die Zahlen des Arbeitsmarktservice belegen zwar in der Tat einen Anstieg von deutschen Arbeitslosengeldempfängern, doch reichen sie kaum aus, um die These des Kanzlers zu untermauern. Im April 2004 hatten 2.532 Deutsche in Österreich Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen. Das ist nicht mal ein Prozent von insgesamt 214.991 Menschen. Bis zum April 2005, dem letzten Monat, für den Vergleichszahlen vorliegen, ist deren Anzahl auf 3016 oder 1,35 Prozent angestiegen. Einem weist im Übrigen darauf hin, dass nicht nur Hartz IV strenge Anforderungen stellt: „In Österreich verlieren Arbeitslose schon längst den Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn sie zumutbare Arbeit nicht annehmen.“

Auch Ulrike Huemer vom Institut für Wirtschaftsforschung in Wien kann keine Zahlen entdecken, die die These des Kanzlers unterstützen würden: Zwar habe er Recht, dass der Arbeitsmarkt durch ein zusätzliches Angebot deutscher Arbeitskräfte angespannt werde, „doch kann ich die Behauptung, die seien nicht arbeitswillig, nicht unterstützen“. Schließlich müsse man, um bezugsberechtigt zu sein, seinen Wohnsitz nach Österreich verlegen. Außerdem werden hier nur 55 Prozent des letzten Gehalts ausbezahlt, während man in Deutschland 60 Prozent bekommt. Und auch die Notstandshilfe, die dem Arbeitslosengeld II nach Hartz entspricht, lag im vergangenen Juli bei durchschnittlich 561 Euro gegenüber 848 Euro in Deutschland.

Schüssel, der derzeit als vermeintlicher Schöpfer eines österreichischen Wirtschaftswunders in deutschen Medien herumgereicht wird, rührte in der FAZ die Propagandatrommel für seine eigene Politik: „Ich würde, wenn ich Deutscher wäre, bald ein paar mutige Vorschläge machen.“ RALF LEONHARD

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