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Fluch und Segen der Peripherie

Konzerte an ungewöhnlichen Orten, Auftritte von lokalen KünstlerInnen und internationalen Stars: Eindrücke vom Elektronikfestival „Nuits Sonores“ in Lyon

Von Lars Fleischmann

Lyon ist eine Stadt, die im Sonnenschein atemberaubend ausschaut; vor allen Dingen an einer der gleich vier Promenaden, die die Millionenstadt durchziehen. Durch Lyon fließen mit der Saône und der Rhône auch zwei Flüsse. Die zweitgrößte Metropolregion Frankreichs mit 2,3 Millionen Einwohnern, geprägt durch die Lage zwischen Alpen und Mittelmeer, durch alte Kirchenbauten und den Charme einer Industriestadt, und mit bislang im Jahr 2019 über einer Million Touristen wirkt friedfertig. Dass die Ruhe trügerisch ist, zeigte ein dem IS zugeschriebener Bombenanschlag am 25. Mai.

Die Bürgerinnen sind schon länger unzufrieden. Neben einer schleichenden Gentrifizierung macht den Einwohnern Lyons auch die Kulturpolitik zu schaffen. Eigentlich ist nun Anfang Juni der perfekte Zeitraum für ein großes Festival inmitten der Stadt, das sich zwar nicht als Volksfest versteht, aber mit 250.000 Besuchern gerne als solches bezeichnet werden kann: „Nuits Sonores“. Ein Musikfestival, das vornehmlich der elektronischen Tanzmusik gewidmet ist, auch wenn sich gelegentlich mal Rock oder gar Jazz ins Programm verirrt.

Während der Festivaltage wirken die Stadt und ihre Musikszene äußerst lebendig. Neben dem Hauptprogramm gibt es auch viele Gratiskonzerte und Partys – auch an ungewöhnlichen Orten, etwa in Restaurants an der Rhône, auf öffentlichen Plätzen, in winzigen Bars. Viele Veranstaltungen werden von ortsansässigen Organisatoren geplant, wie etwa dem Label Brothers From Different Mothers.

Wenn man mit dem Veranstalter und Mitbetreiber des Internetradios LYL, Lucas Bouissou, spricht, fällt sein Urteil dennoch bescheiden aus: „Alles gut und schön, doch wenn Nuits So­nores zu Ende ist, herrscht wieder Ödnis in Lyon. Dann passiert hier kaum etwas.“ Auch beim Festival selbst weiß man um diesen Umstand. Die Sprecherin des Netzwerks „We Are Europe“ und Mitarbeiterin des Festivals, Céline Moroux, erkennt ein Muster: „Es ist viel schwieriger, außerhalb der Hauptstädte in der Peripherie konstant gute Kultur anzubieten. Umso wichtiger ist unser Netzwerk, in dem eben jene Städte zusammenkommen, die nicht vom Zentralismus begünstigt sind.“ In Deutschland ist das etwa die c/o pop aus Köln. Auch hierzulande kennt man in Städten wie München, Hamburg oder eben Köln den Aderlass in Richtung Hauptstadt.

In Frankreich ist dieser Braindrain strukturell und historisch bedingt leider sehr viel ausgeprägter. Ein Großteil der staatlichen Gelder verbleibt in Paris, Kommunen wie Lyon sehen davon nur einen Bruchteil. Gegeizt wird bei dem Festival dennoch nicht: Eingeführte Künstlerinnen wie die chinesische Houseproduzentin Peggy Gou und der US-Technoproduzent Maceo Plex durften als Gastkuratoren einzelne Abende gestalten. Genau das mögen die BesucherInnen von „Nuits Sonores“ auch besonders. Zu bemerken etwa an einem Abend im Vorzeigeclub Le Sucre, der wiederum von der Düsseldorfer Musikerin Lena Willikens kuratiert wurde. Ihr Düsseldorfer Kollege Toulouse Low Trax (ein Alias von Detlef Weinrich) und das Chicagoer Jack-House-Wave-Trio Mutant Beat Dance wurden mit frenetischem Beifall gefeiert.

Auch Talenten wird in Lyon eine Bühne geboten: Die britische Saxofon-Hoffnung Nubya Garcia bewies, dass ihr berauschender hypermoderner Jazz, der von afrokaribischen Spielarten bis hin zu Dub alles zitiert, was ihre Heimatstadt London ausmacht, auch bei Konzerten in der Ferne besteht. Der Auftritt der 27-Jährigen geriet zu einem Fest.

Auch Talenten wird in Lyon eine Bühne geboten: Der Auftritt der 27-jährigen Saxofon-Hoffnung Nubya Garcia geriet zu einem Fest

Wer darüber hinaus die knapp 12.000 feiernden Menschen beim Set der französischen DJ-Legende Laurent Garnier, beim Live-Act des britischen Produzenten Jon Hopkins (bezahlt aus Mitteln von „We Are Europe“) oder auch bei der Hamburger Technoblaskapelle Meute gesehen hat, wird den Erfolg schon allein aus seiner Skalierung bestätigen wollen. Und, ein schöner Nebeneffekt: Auch lokale KünstlerInnen profitieren von der Bühne, die ihnen bei „Nuits Sonores“ geboten wird. Sowohl die Krautrockband Abschaum als auch das Gabba-Goa-Trance-Trio J-Zbel spielen hier vor Tausenden, wo sonst wenige Hundert kommen.

Also doch alles in Ordnung? Als Beobachter von außerhalb ist man unentschieden. Negativ ist, dass es nachts keinen ÖPNV gibt, außerdem das nervige Cashless-System mit enormen Wartezeiten an den Automaten und die ständig ­überfüllten Toiletten. Oder aber eben Bookingfehler wie bei dem Abend im benachbarten Villeurbanne. Während man Techno sonst immer einen würdigen Rahmen bot, wurde der Berliner Techno-DJ Efdemin in einen völlig ungeeigneten Raum mit Tribüne verbannt.

Das reicht natürlich alles nicht für einen tieferen Einblick in den Allgemeinzustand der Musikszene Lyons. Denn gerade in den Großstädten, die sich von Kulturzentralismus übervorteilt fühlen, erzählt man gern vom Gras, das überall grüner sei als zu Hause.

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