piwik no script img

Die Freiheit kann auch weiblich verdichtet sein

„Die Liebe im Ernstfall“ von Daniela Krien ist ein guter Roman über das gegenwärtige reale Leben von Frauen und zugleich über den aktuell skeptisch beäugten Osten Deutschlands

Die Jugenderfahrungen in der DDR wirken nach: Frauen in Leipzig, 1981 Foto: Harald Kirschner/transit

Von Anja Maier

Es ist viel los in diesem Roman. Fünf Frauen schwirren durch Leipzig und suchen nach ihrem Stück Lebenszufriedenheit. Dass sie dies mit nur wenig Pathos tun, sondern ganz praktisch-pragmatisch, dabei aber auch die großen Gefühle nicht aus dem Blick verlierend, ist das der Verdienst der Autorin Daniela Krien. Die Schriftstellerin, Jahrgang 1975, sorgt dafür, dass alle auf dem Teppich bleiben und ihr Wollen und Verlangen dennoch angemessen ernst nehmen.

„Die Liebe im Ernstfall“ ist ein Buch über Frauen, ein Frauenroman im allerbesten Sinn. Krien verbindet die untereinander verschlungenen Wege dieser Frauen mit all dem, was zum Leben von Frauen dazugehört. Männer natürlich, Kinder allermeist, Jobs und Kollegen, auch Pferde spielen eine Rolle. Und immer wieder: die Liebe. Sie kommt und geht, tut weh und auch gut. Die Liebe ist im Ernstfall gelebtes Leben mit Krisen und Hochgefühlen. Die Protagonistinnen sind Mitte vierzig; sie gehören nicht mehr zu den dreifach belasteten toughen DDR-Frauen, aber eben auch nicht zur jungen gesamtdeutschen Generation der Feministinnen. Dieses geschlechterpolitische Dazwischen, das Oszillieren zwischen unbedingtem Anspruch an das persönliche Glück bei gleichzeitig mitunter überraschender Tapferkeit und dem massiven Willen zur Eigenständigkeit erzeugt ein hohes Maß an Spannung

Es wird gereist und gevögelt und gekocht und gegessen, geschrieben und geschreinert und Rad gefahren. Es wird unendlich viel und hart gearbeitet. Ein Kind stirbt. Ein Mann verheddert sich in seiner esoterischen Paranoia. Mehr als ein Paar verliert sich. Jedoch – das ist das Großartige – keine der Geschichten ist überdreht. Jedes der erzählten Leben kommt einem in verblüffend authentisch beschriebenen Einzelteilen bekannt vor. „Die Liebe im Ernstfall“ ist im besten Sinne anschlussfähig. Man geht gern mit diesen Figuren mit und wird zugleich im Beobachterstatus gehalten. Paula, Judith, Jorinde, Malika und Brida sind selbstständig genug, die brauchen kein Mitleid im aneignenden Sinne.

Und etwas Weiteres ist „Die Liebe im Ernstfall“: ein Roman über den aktuell interessiert und kritisch begutachteten Osten und dabei auch einer über den Freiheitsbegriff, der mitunter verschieden verstanden und gelebt wird in diesem wiedervereinten Deutschland. Freiheit an sich, sagt Krien in einem Interview, sei „nicht für jede Frau und jeden Mann das höchste Gut. Manche ziehen stabile soziale Beziehungen, Sicherheit und ein Mindestmaß an Wohlstand einer grenzenlosen Freiheit vor. Die Freiheit eines DDR-Bürgers war vielfach eingeschränkt, auf das individuelle Glücksempfinden jedoch hatte diese Tatsache nicht in jedem Fall Einfluss.“ Kriens Analyse ist nicht weniger als diese nicht romantisierende Ostlersicht auf das Eigene im Gesellschaftlichen, das mancher Westler als verdruckst und wenig weltoffen auffasst. Dabei ist es die Erfahrung der Autorin und ihrer Romanfiguren, in die Krien als alleinerziehende Mutter zweier Töchter viel von sich selbst hineingibt. Es lohnt sich, ihrem Freiheitsbegriff näherzutreten, man wird gewiss nicht dümmer davon.

Daniela Krien: „Die Liebe im Ernstfall“. Diogenes, Zürich 2019, 288 Seiten, 22 Euro

Alle fünf Hauptfiguren kommen aus dem Osten und gehören der Nachwendegeneration an. Manche waren zum Studieren und Arbeiten weg, sie sind aber wieder hier, in dieser wunderbaren Stadt Leipzig, die Krien liebevoll porträtiert und dabei das Politische, die Erfahrung biografischer Risse einer Stadtgesellschaft, einer ganzen Region, klug miterzählt. Die Freiheit ist für diese Frauen zum einen ihre Kindheit der siebziger und achtziger Jahre in einem Land, das die Gruppe und das Wohlverhalten in ihr über alles schätzte und honorierte. Ab 1990 dann wurde Freiheit gleichbedeutend mit vollständiger Individualisierung, auch mit Härte sich und anderen gegenüber. „Dabei“, sagt Krien, „sind starke und kritische Persönlichkeiten herausgekommen, die die Vorteile des Kapitalismus und des Liberalismus zu schätzen wissen, seine Nachteile aber nicht übersehen.“

Beklemmend gut beschrieben ist hier vor allem die Figur des Vaters von Jorinde und Malika. Der einst im Osten regimekritische Bohemien wird im Laufe des Buches vom einstigen Bürgerrechtler zum Zweifler und schließlich zum Wutbürger. Krien denunziert diesen Mann nicht; sie schildert lediglich eindrücklich, wie sich der Wandel vollzieht, mit all seinen Facetten. Auch den lächerlichen und den tröstlichen.

Ganz am Schluss des Romans wird noch ein Kind geboren. Ein kleines Mädchen, sinnbildlicher Nachwuchs all der Frauen, Mütter, Schwestern, Geliebten, Freundinnen in diesem Buch, die untereinander verbunden sind. „Eine undefinierbare Kraft liegt in der Verdichtung des Weiblichen“, schildert Daniela Krien die Atmosphäre in den Tagen nach der Geburt der kleinen Lilli. Es ist ein Satz, der im Ganzen für diesen Roman steht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen