Die Suche nach der wahren Bibel

Ein Bonner Projekt versucht, die Originalfassung des Markus-Evangeliums zu rekonstruieren. Wie bei der „stillen Post“ schlichen sich mit jeder weiteren Abschriften-Generation neue Fehler ein. „Schlamperei oder böswillige Fälschung?“

von HOLGER ELFES

Für Benedikt XVI. und Hunderttausende christliche Pilger ist die Sache klar: Die Bibel hat recht. Bleibt die Frage, welche Bibel. Allein das Neue Testament ist in mehr als 5.000 vollständigen oder fragmentarischen Handschriften überliefert, die in über 150.000 Punkten voneinander abweichen. Seit Jahrhunderten bemühen sich Theologen, die Ursprungsfassung der Heiligen Schrift zu rekonstruieren. Der Religionswissenschaftler Eberhard Güting hat mit dem neutestamentlichen Seminar an der Uni Bonn die unterschiedlichen Lesarten des Markus-Evangeliums zusammengetragen und kritisch bewertet.

„Ora et labora“, lautet der Wahlspruch der Benediktiner, „bete und arbeite“. „Bete und schreibe“ hätte auch gut gepasst. Vor der Erfindung des Buchdrucks waren Klöster nämlich wie große Copy-Shops: In den Skriptorien pinnten die Mönche tagein, tagaus Pergamente und Papyrusrollen ab und sorgten so dafür, dass sich das Wort Gottes verbreitete. Nicht immer ließen sie dabei jedoch die nötige Sorgfalt walten: Hin und wieder schlichen sich beim Abschreiben kleinere Fehler ein – selbst die Namen der zwölf Apostel sind nicht einheitlich überliefert. Manchmal veränderten die Mönche den Text sogar mit Absicht.

Schlamperei oder böswillige Fälschung? Weder noch, stellt Theologe Güting klar: „Die meisten Schreiber waren von Herzen fromme Menschen, die der Kirche nach bestem Wissen und Gewissen dienten. Manche fühlten sich allerdings berufen, stilistische Änderungen vorzunehmen.Aber auch aus Unaufmerksamkeit konnte sich die Bedeutung einer Passage ändern. So konkurriert im Brief des Apostels Paulus an die Römer die Formulierung „Wir haben Frieden mit Gott“ mit der ebenfalls überlieferten Version „Wir sollen Frieden mit Gott haben“. Vom Sinn ein gewaltiger Unterschied – im Griechischen unterscheiden sich die beiden Sätze aber nur in einem einzigen Buchstaben.

Mitunter korrigierten die Schreiber auch vermeintliche Fehler. Zum Beispiel das „Vater unser“: Die Mönche kannten aus dem Klosteralltag meist die im Matthäus-Evangelium zitierte Fassung, die sich von der Version bei Lukas in einigen Punkten unterscheidet. Bei der Kopie des Lukas-Texts dachte sich deshalb wohl mancher Schreiber: Diese Passage lautet doch eigentlich ganz anders, und wandelte den Text entsprechend ab. „Der Gebrauchstext hatte die Tendenz, sich gegen das Original durchzusetzen“, erklärt dazu der Bonner Emeritus Wolfgang Schrage.

Da keine einzige Schrift im Original erhalten geblieben ist, müssen sich die Theologen von Fall zu Fall für die wahrscheinlichste Lesart entscheiden. Schrage ist Initiator eines DFG-Projekts, bei dem es um die Rekonstruktion des Markus-Evangeliums geht. Wie bei der „stillen Post“ schlichen sich auch dort mit jeder weiteren Abschriften-Generation neue Fehler ein. Der verstorbene Theologe Prof. Heinrich Greeven aus Bochum hatte in jahrelanger Detailarbeit eine so genannte „Synopse“ der Evangelien erstellt. Darin hat er einander entsprechende Passagen von Markus, Matthäus und Lukas nebeneinander gestellt und die aus seiner Sicht wahrscheinlichste Fassung des Markus-Evangeliums und seiner Parallel-Überlieferungen rekonstruiert. Ob er damit den Originaltext traf, bleibt allerdings fraglich.

„Früher nahm man an, die älteste Handschrift sei automatisch auch die beste“, erklärt Güting. „Das ist aber zu schlicht gedacht.“ Das gilt auch für die 116 Abschriften auf Papyrus, von denen manche noch aus dem Jahr 200 nach Christus stammen. Zum Vergleich: Das Markus-Evangelium ist wahrscheinlich um 70 n.Chr. entstanden. Die Papyrus-Kopien gelten als die ältesten Quellen. Doch je nachdem, wo sie angefertigt wurden, sind sie mehr oder weniger zuverlässig: In einer kleinen Kloster-Klitsche gingen die Mönche meist nachlässiger zu Werke als in den großen Bibliotheken. Den besten Ruf genießen Kopien aus Alexandria. „Das Niveau der Philologie war dort extrem hoch“, sagt Güting. Auch dank eines hervorragenden Qualitäts-Managements: „Die Alexandrinischen Gelehrten stellten harte Regeln auf: Nehmt gute Handschriften, prüft sie vorher auf ihre Qualität, und vor allem: Vergewissert euch, dass eure Kopien korrekt sind.“