: Der Rap-Motor im Trödelladen
Das argentinische Trio Fémina sucht zwischen HipHop und Pop, Futurismus und Folklore eine eigene Ästhetik – und hat einen prominenten Fan
von Julia Lorenz
Am Himmel über dem Meer ist ein Mund aufgegangen. Rote Lippen hängen im Video zum Song „Resist“ am Horizont, betrachtet von drei nackten Frauen am Ufer: Clara Miglioli, SofíaTrucco und Clara Trucco wenden uns ihre Rücken zu, während eine wohlbekannte Männerstimme von einem „long, long way“ raunt. Wem sie gehört, wird man wissen, wenn der Mund im Meer versunken ist und schließlich der Mond aufgeht: Der Himmelskörper trägt, oh my god, Iggy Pops Gesicht.
Wenn man sich nun wundert, was der Punk-Urvater in dieser surrealistischen Versuchsanordnung verloren hat, die an Man Rays Gemälde „Observatory Time – The Lovers“ erinnert; wenn man sich fragt, warum der Song so körperlos dahingleitet, während da drei Frauen auf Spanisch über Widerstand singen, dann hat das Trio alles richtig gemacht.
Seit ihrer Gründung suchen Fémina eine eigene Ästhetik zwischen Rap und gegenwärtigem Pop, futuristisch-feministischer Bildsprache und der Folklore Argentiniens. Die Schwestern Sofía und Clara Trucco leben in Buenos Aires, ihre Kindheitsfreundin Miglioli wohnt wieder in Patagonien, wo alle drei herkommen. Derzeit sind sie in ihrer Heimatstadt San Martín de los Andes, um zu proben.
Sich mit Fémina zum Interview zu verabreden, ist deshalb kompliziert: Einen Termin zum Gespräch verschiebt Sofía Trucco, weil sie ihr krankes Kind zum Arzt bringen muss. Wenige Tage später meldet sie sich am späten Abend mit der Absage: stressiger Tag. Mitten in der Nacht schickt Trucco die Antworten auf die per Mail gesandten Fragen als Sprachnachrichten bei WhatsApp. Das kreative Chaos ist nicht nur Pose bei Fémina.
Ihre Heimatstadt San Martín de los Andes bezeichnet Trucco in diesen Sprachmessages als „Paradies“. „Wir waren so frei in unserer Jugend“, sagt sie. Als Kinder kletterten sie in den Bergen herum, spielten in den Wäldern. Alle drei hörten, ganz Generation MTV, Rap und Grunge. Zuhause kamen sie aber auch mit Songwritern aus den USA in Berührung, genauso mit Chacarera, der traditionellen Musik aus dem Gran Chaco im Norden des Landes. Den argentinischen Folkmusiker Atahualpa Yupanqui nennt Trucco einen „Helden“.
2004 gründeten sie und Miglioli Fémina. Ihre kleine Schwester, als Bildende Künstlerin der „Ästhetik-Captain“ der Band, wie Trucco sagt, kam wenige Jahre später dazu. Ihr Debütalbum „Deshice De Mi“ von 2011 war eine wilde Rap-Folk-Fusion. „Rap ist der Motor für alles, was wir tun“, sagt sie. Als sie und ihre Schwester jung waren, blieben sie nächtelang wach, um die Lyrics US-amerikanischer HipHop-Songs zu übersetzen. Auf ihrem neuen, im April erschienenen Album „Perlas y Conchas“, das der britische DJ Quantic produzierte, kommen sowohl Rap als auch Folklore eher als Zitat vor; statt an den Latin-Rap einer Ana Tijoux erinnert der Sound an den minimalistischen Pop von Ibeyi.
17. bis 26. Mai: Masala Weltbeat Festival, Hannover, u. a., mit A-Wa, Manou Gallo, The Turbans, Nneka. Infos: www.masala-festival.de
30. Mai bis 2. Juni: Africa Festival Würzburg, u. a., mit Calypso Rose, Femi Kuti, Kokoroko, Sista Awa, Gentlemen, africafestival.org
27. Juni bis 28. Juli: Stimmen-Festival Lörrach, u. a. mit Jan Delay & Disko No.1, Sudan Archives, Iggy Pop, Fémina. www.stimmen.com
2. bis 10. Juli: Roots Festival Amsterdam, u. a., mit Afrotronix, The Nordanians, Fémina. amsterdamroots.nl
4. bis 7. Juli: Rudolstadt Festival u. a. mit Fémina, Jil Gnawa, Seun Kuti & Egypt 80. rudolstadt-festival.de
5. bis 27. Juli: Wassermusik 2019, Black Atlantic Revisited u. a., mit Milton Nascimento, Angelique Kidjo, Gilberto Gil. www.hkw.de
12./13. Juli: Static Roots Festival, Oberhausen u. a., mit The Wave Pictures, John Blek, The Hanging Stars, staticrootsfestival.com
12. bis 14. Juli: Afrikatage Landshut. Programm bald unter: afrikatage-landshut.de
19. bis 21. Juli: World Music Festival, Willingshausen-Loshausen (Nordhessen) u. a. mit Mana Tapu, Vvlva, Guts Pie Earshot, worldmusicfestival.de
19. bis 21. Juli, Horizonte Festival Koblenz u. a., mit Jewish Monkeys, Kosmo Sound, Vigüela, horizonte-festival.de
26. bis 28. Juli.: Bardentreffen Nürnberg u. a., mit Che Sudaka, Daniel Kahn & Painted Bird bardentreffen.nuernberg.de
9./10. August: Finki Open Air Finkenbach u. a., mit Guru Guru, Arthur Brown www.finki-festival.de
Trucco sagt, die Platte sei cambalache: ein Wort aus dem Tango-Slang, das wörtlich so viel wie „Basar“ oder „Trödelladen“ bedeutet. „Die Platte hat die Energie, den Vibe der traditionellen Musik aus Argentinien, aber kein Song ist ein klassischer Samba oder Chacareda“, sagt sie. „Auf 'Perlas y Conchas’ ist es eher eine bestimmte Atmosphäre, die an alles erinnert, womit wir aufgewachsen sind. Die Erde, die Geografie des Landes, die Gefühle, die wir haben, wenn wir zuhause in San Martín de los Andes sind.“ Tatsächlich lässt der Sound des Albums erahnen, was mit dieser metaphysischen Erklärung gemeint ist: In den zehn Songs scheint so viel Platz und Luft zu sein wie in den Weiten Patagoniens; Elemente aus Soul, Downtempo-R’n’B, elektronischem Pop, Rap und argentinischem Folk dürfen so frei flottieren, dass sich die Stücke federleicht anfühlen, obwohl sie sich aus hundert Quellen speisen.
Auf dem Cover des Albums erinnern die drei, wieder unbekleidet, zugleich an Boticellis Venus und das Punktrio The Slits, die auf dem Cover ihres Debüts „Cut“ als furchtlose Kriegerinnen dem Matsch entstiegen. Eine schöne Mehrdeutigkeit findet sich auch im Titel: Man könnte „Perlas y Conchas“ mit „Perlen und Muschelschalen“ übersetzen, was hübsch und harmlos klingt – wenn man nicht weiß, dass „Concha“ im Argentinischen Spanisch ein flegelhafter Begriff für Vagina ist. „Im Grunde waren wir schon immer eine feministische Gruppe“, sagt Trucco. „Einfach, weil wir Frauen sind, die über ihre Probleme in Argentinien und der Welt sprechen. Am Anfang war uns nur nicht wirklich bewusst, was unsere Lyrics bewirken. Aber dann schrieben uns immer mehr Frauen: Ihr seid unsere Stimme im Land, danke für eure Texte!“
Für den argentinischen Popfeminismus sind Fémina Heldinnen – für Iggy Pop, ihren Mann im Mond, gerade eine der spannendsten Bands der Welt. Der Grandseigneur des Punk hat das Trio in seiner Radiosendung „Iggy Confidential“ gespielt. Als Fémina für eine Show in Miami waren, lernten sie ihn schließlich kennen, erzählt Trucco: Pop empfing sie in seinem Haus, trug, wie immer, nur Shorts und Sandalen, kein Shirt, war „bescheiden und neugierig“ und bot der Band an, mit ihm gemeinsam an Songs zu arbeiten. „Seitdem glauben wir, dass niemand auf der Welt unerreichbar ist“, sagt Trucco. „Ich meine, wir haben Musik mit Iggy Pop aufgenommen – alles ist möglich.“
Fémina: „Perlas y Conchas“ (Fémina Records) | live: 5./6. Juli Rudolstadt Festival, 7. Juli, Amsterdam, Roots Festival, 14. Juli, Lörrach, Stimmen Festival (mit Iggy Pop)
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