„Verwurzelt in Spanien“

In Barcelona wird zurzeit der Spielfilm „Salvador“ gedreht, ein Biopic über den 1974 hingerichteten Anti-Franco-Kämpfer Salvador Puig Antich. Ein Gespräch mit dem Hauptdarsteller Daniel Brühlüber seine Vorliebe für rebellische Figuren, seine spanische Familie und das Erbe des Bürgerkriegs

INTERVIEW JULIA MACHER

taz: Herr Brühl, zurzeit drehen Sie in Spanien „Salvador“, einen Film über den katalanischen Anarchisten Salvador Puig Antich, gegen den 1974 eines der letzten Todesurteile der Diktatur vollstreckt wurde. Nach „Die fetten Jahre sind vorbei“ ist das Ihr zweiter Rebellionsfilm. Haben Sie ein Faible für linke Rollen?

Daniel Brühl: Die Rollen haben schon viel gemeinsam. Salvador und Jan sind beide junge Männer, die Ungerechtigkeiten bekämpfen und das System verändern wollen. Diesen Mut, etwas verändern zu wollen und dafür auch etwas aufs Spiel zu setzen, bewundere ich sehr. Im Fall von Salvador gab es einen klaren Feind, die Franco-Diktatur, gegen die man angekämpft hat. Diese Klarheit ist auch das, was mich fasziniert an der Zeit damals. Das ist das Problem für uns heute, dass man vermeintlich alles tun und lassen kann, dem aber eigentlich nicht so ist. Heute Mittel und Wege für Protest zu finden ist schwierig.

Warum?

In gewisser Weise ist das eine Ausrede, weil es natürlich immer Mittel und Wege gibt. Die Leute von Attac sind ja auch sehr engagiert. Aber es gibt keine Jugendbewegung, der man sich einfach anschließen kann– wie in Spanien dem Widerstand gegen die Diktatur oder in Deutschland der 68er-Bewegung. Heutzutage gibt es in Deutschland wie in Spanien diese komischen Mischmasch-Parteien, dieses neoliberale System, in dem man keine konkrete Bedrohung spürt. Es ist alles sehr verwaschen. Vielleicht ändert sich das ja, wenn Neuwahlen sind. Vielleicht geht man dann wieder mehr auf die Straße.

Ihre Vorliebe für gesellschaftskritische Filme: Ist das Ersatzbefriedigung für Ihre revolutionäre Sehnsucht oder eine Form von Engagement?

Ich bin da vorsichtig. Etwas, für das ich bezahlt werde, als großartiges Engagement zu bezeichnen, wäre vermessen. Aber ein bisschen ist das schon so: Diese Themen beschäftigen mich und interessieren mich sehr. Und ich würde sie gerne öfter im Kino sehen wollen – unabhängig davon, ob ich jetzt beteiligt bin oder nicht. Insofern finde ich es schon wichtig, als Schauspieler solche Filme zu machen: Um einen ersten Schritt in diese Richtung zu gehen. Was man mit einem Film erreichen kann, ist, die Leute dazu zu kriegen, nachzudenken. Ich habe neulich zum Beispiel gelesen, dass Jugendliche in ein Hamburger Nobelrestaurant eingebrochen sind, das ganze Buffet mitgenommen haben und Nachrichten aus „Die fetten Jahre sind vorbei“ dagelassen haben.

Macht Sie das stolz?

Ja (lacht). Ich finde das super.

Im Vergleich zu Ihrer Rolle als globalisierungskritischer Jan („Die fetten Jahre sind vorbei“) war der Widerstand von Salvador Puig Antich sehr viel radikaler. Die anarchistische Gruppe MIL kämpfte gegen das Franco-Regime, indem sie Banken überfiel und Entführungen plante.

Aber gleichzeitig waren sie kleine Rockstars. Die Jungs hatten eine gute Zeit und haben sich toll dabei gefühlt. Natürlich gab es Theoretiker in der Gruppe, und auch Salvador hatte ein politisches Bewusstsein, aber er war nicht verkopft. Das sind Figuren, die mir sympathisch sind.

Puig Antich hat sich nach seiner Verurteilung zum Tod den Entführungsplänen seiner Gruppe verweigert und wollte auch nicht, dass die katalanische Opposition für seine Begnadigung mobilisierte. Wie erklären Sie sich die Entschlossenheit eines gerade mal 24-Jährigen?

Salvador hatte eine ganz interessante Familiengeschichte. Sein Vater wurde während des Spanischen Bürgerkriegs in einem Konzentrationslager zum Tode verurteilt und kurz vor der Erschießung gerettet. Das hat dem Vater einen Knacks verpasst, den er sein ganzes Leben nicht bewältigen konnte. Das hat Salvador, der ein sehr schwieriges Verhältnis zu seinem Vater hatte, sehr beeinflusst. Und das erklärt vielleicht auch, warum Salvador die letzten Wochen seines Lebens im Gefängnis so stark war. Vielleicht hat er gedacht: Wenn ich jetzt zurückkomme und ein normales Leben führe, tue ich genau das Gleiche wie mein Vater. Deswegen ist es vielleicht das Richtige, jung zu sterben und seinen Idealen treu zu bleiben.

Der Regisseur Manuel Huerga sieht den Film als Verpflichtung gegenüber Katalonien.

Ja, allerdings muss man bei solchen Ikonen wie Salvador Puig Antich aufpassen, dass sie nicht missbraucht werden. Die separatistische Bewegung Terra Lliure zum Beispiel hatte sich Salvador auf die Fahne geschrieben, obwohl er mit Unabhängigkeitsbewegung und Katalanismus überhaupt nichts zu tun hatte. Er war Anarchist. Trotzdem erzählt der Film natürlich von Barcelona, von Katalonien und von einer hochspannenden und sehr wichtigen Zeit in Spanien, die absolut ins Kino gebracht werden muss.

Die Diktatur liegt gerade mal 30 Jahre zurück. Spürt man die zeitliche Nähe?

Wenn wir während des Drehs von Leuten auf der Straße gefragt werden, was wir machen, sagen schon viele: „Jaja, den kannte ich.“ Plötzlich kennen sie ihn alle und waren natürlich auf seiner Seite – wobei sich damals kein Arsch gerührt hat, als er im Gefängnis war. Die Vergangenheit liegt in Spanien in der Luft. Jeder über 40 hat das ja direkt miterlebt. Mein Vater wusste sofort über Salvador Puig Antich Bescheid, weil mein Onkel damals als deutscher Journalist über den Burgos-Prozess …

bei dem sechs ETA-Mitglieder erst zum Tod, aufgrund der internationalen Proteste dann zu lebenslanger Haft verurteilt wurden …

… berichtet hat. Es ist ein großer Vorteil, dass man eigentlich jeden fragen kann, wie es damals war.

Über die Franco-Diktatur wird in Spanien erst seit ein paar Jahren öffentlich debattiert. Wie haben die Zeitzeugen, mit denen Sie gesprochen haben, die letzten Jahre der Diktatur empfunden?

Sie erzählen ganz oft von Repression, von Spitzelei, davon, wie viele Leute sich gegenseitig denunziert haben. Ich bekomme das auch in dem Dorf mit, in dem meine Eltern ihr Haus haben. Seit dem Bürgerkrieg ist das Dorf zweigeteilt. Die Familien haben sich zum Teil so zerstritten, dass sie nicht mehr miteinander reden.

Auf welcher Seite stand Ihre spanische Familie?

Auch die war zweigeteilt. Mein spanischer Opa hat für das Regime als Journalist gearbeitet – wie mein deutscher Opa, die beiden hätten sich prächtig verstanden. Der Bruder meines Großvaters war Anarchist. Und meine Eltern haben wild gefeiert, als Franco starb. Das muss das Fest des Jahrhunderts gewesen sein.

Seit Ihrer Geburt kommen Sie jedes Jahr zwei-, dreimal nach Spanien. Fallen da noch Unterschiede auf?

Die Gesellschaft funktioniert in Spanien schon ganz anders als in Deutschland. Es gibt in Spanien zum Beispiel zwar keine extremen Wahlerfolge der Neonazi-Parteien wie in Ostdeutschland, aber trotzdem ist so ein latenter Rassismus da. Bei Spielen des FC Barcelona werden schwarze Spieler mit Affenlauten nachgeäfft. Würde so etwas in Deutschland passieren, dann würde Schröder oder irgendjemand sonst das sofort kommentieren. Hier passiert das nicht. Es ist eine total andere Mentalität.

Weil in Spanien über Politik genauso wie über Fußball geredet wird?

Ja. Die Dinge werden mit einer gewissen Leichtigkeit, einfacher behandelt.

Im Film ist Spanien oft ein Sehnsuchtsland, ein Zufluchtsort – so auch in „Das weiße Rauschen“ und „Die fetten Jahre sind vorbei“, die beide unter südlicher Sonne enden.

Das war übrigens der gleiche Strand, an dem wir mit Hans Weingartner da waren. Ich verstehe das gut: Spanien hat einen ganz speziellen Charme. Auch wenn ich eine Zeit gebraucht habe, um den zu entdecken. Als Kind war es mir hier zu laut, zu dreckig, zu chaotisch. Damals fand ich Südfrankreich oder Italien viel schöner. Mittlerweile liebe ich diesen rauen Charme aber sehr – weil er beides hat: Liebenswürdigkeit und Härte. Ich bin verwurzelt in Spanien und hätte hier gerne ein zweites Standbein, eine Wohnung oder irgendeine Rückzugsmöglichkeit, ein Ort, an dem man zur Ruhe kommen kann.

Nach „Salvador“ wird es allerdings wahrscheinlich auch in Barcelona mit der Ruhe vorbei sein.

Davor hat mich auch der Regisseur gewarnt: Wenn dieser Film einmal steht, dann werde ich für viele spanische Jugendliche eben Salvador sein. Hier in Barcelona ist das ein merkwürdiges Gefühl. Seit meiner Geburt komme ich jedes Jahr zwei-, dreimal hierher. Und nächstes Jahr – na ja, da werde ich entweder mit Tomaten beschmissen, der Stadt verwiesen oder im besten Fall nette Sachen hören. Ich habe da schon Muffensausen vor. Ich glaube, ich werde so nervös sein wie noch nie, wenn der Film seine Premiere hat.