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Archiv-Artikel

Verfassung verabschiedet sich von Pinochet

Chile verabschiedet eine umfassende Verfassungsreform, um das Erbe der Diktatur loszuwerden – mit Abstrichen

PORTO ALEGRE taz ■ Ohne Debatte hat der chilenische Kongress die bislang umfassendste Reform der Verfassung von 1980 beschlossen. Die beiden Parlamentskammern verabschiedeten vorgestern in Santiago in gemeinsamer Sitzung fast einstimmig 58 Verfassungsänderungen. Mit der Reform werden vor allem Regelungen aus der Zeit der Militärdiktatur (19731990) getilgt, die „autoritären Enklaven“. Präsident Ricardo Lagos schob einige zuvor abgestimmte Änderungen im Detail nach, die gestern ebenfalls abgesegnet wurden.

Abgeschafft werden die vom Präsidenten ernannten sowie die „institutionellen“ Senatoren, insgesamt neun. Mit dieser Einrichtung hatte Diktator Augusto Pinochet den Übergang zur Demokratie mehrfach abgebremst. Staatschefs werden nach Ende ihrer Amtszeit nicht mehr Mitglied des Senats auf Lebenszeit – nun sollen alle 38 SenatorInnen gewählt werden. Die Amtszeit des Präsidenten wurde von 6 auf 4 Jahre verkürzt. Der Staatschef erhält wieder das Recht, die Oberbefehlshaber der Streitkräfte und der Polizei abzusetzen.

Chile bekomme damit die erste wirklich demokratische Verfassung nach der Militärdiktatur, sagte Innenminister Francisco Vidal. Unabhängig vom politischen und moralischen Urteil der chilenischen Gesellschaft über Pinochet bedeute die jetzige Reform einen qualitativen Sprung. Die liberale Tageszeitung La Tercera bezeichnete die Reform als „Endpunkt eines historischen Abschnitts“.

Auf den Rängen protestierten rund 50 Mitglieder der Kommunistischen Partei und des Linksbündnisses „Juntos Podemos“, die auch das erneuerte Grundgesetz als „Pinochet-Verfassung“ ablehnen. Vor allem kritisieren sie, dass die Indígenas nicht berücksichtigt werden und dass das so genannte binominale Wahlsystem die Kräfte außerhalb des Rechtsblocks „Allianz für Chile“ und der regierenden Mitte-links-Koalition „Bündnis für die Demokratie“ weiterhin aus dem Kongress heraushält. „Wir wollten eine neue Verfassung,“ sagte die Menschenrechtsanwältin Julia Urquieta. Im Dezember finden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt, Umfragen zufolge kommt „Juntos Podemos“ derzeit auf 9 Prozent.

Die Sitzung wurde für fünf Minuten unterbrochen, die Demonstranten abgeführt. Ricardo Lagos sagte nach der Sitzung, er hoffe jetzt auf ein baldige Reform des Wahlsystems – ein Anliegen, das die Rechte unisono ablehnt. Auch seine Parteifreundin Michelle Bachelet will das Thema aufgreifen: „Wir brauchen ein viel demokratischeres Wahlsystem“, sagte die sozialistische Favoritin für die Präsidentenwahl. Außerdem kritisierte sie die Verkürzung der Regierungszeit um ein Drittel. Lagos wird die reformierte Verfassung in einer großen Feierstunde am 17. September unterzeichnen.

GERHARD DILGER