: Demokratische Strenge
Noch bis Dienstag geballte Minimal Music in Hannover: Das Festival „Klangbrücken“ würdigt den Komponisten Steve Reich
Von Alexander Diehl
Zugegeben: Für den Auftakt kommt dieser Text zu spät: Begonnen hat das Festival „Klangbrücken“ schon am 1. Mai – der insofern ein Tag der Arbeit im doppelten Sinne war, für das Orchester Musica Assoluta aus Hannover etwa. Zur Eröffnung setzte es zwei neuere Stücke Steve Reichs – „Pulse“ (2015) und „Radio Rewrite“ (2012) – in Beziehung unter anderem mit zweien von Johann Sebastian Bach.
Sie werden gerne kombiniert, nicht nur in Hannover: einerseits die Strenge Bachs, die niemand ernsthaft als übermäßig mathematisch angehen würde und also zu wenig musikalisch; die da aufscheinenden vertonten Zahlenverhältnisse sind vielmehr quasi ein Gottesbeweis. Andererseits die US-amerikanische Minimal Music, als deren mindestens zweitbekanntester Vertreter Steve Reich durchgeht. Deren Umgang mit Variation und Reihung des, nun ja, minimalen Materials wurde auch schon mal als allzu schlicht abgekanzelt: Was derart geschmeidig ins Ohr geht, es kann ja gar keine gute Musik sein.
Jedem Avantgarde-Geunke zum Trotz: Mindestens die großen Drei des Minimalismus – neben Reich ist das zweifellos Philipp Glass, um Platz drei streiten sich dann schon mal Terry Riley und John Adams (bzw. deren Fans sind’s, die sich streiten) – haben es geschafft in Orchesterrepertoires und Opern-Spielpläne. Ihre Musik wurde derweil immer weniger minimal, romantischer, also: konventioneller.
Noch bis Dienstag können in Hannover Vergleiche angestellt werden zwischen dem späten, in solchem Sinne üppigeren Reich und deutlich früheren Arbeiten. So spielt das Ensemble S Stücke aus den Jahren 1967 bis 1973, und das – besonders reizvoll – zu diversen Terminen im Sprengel-Museum; eine mindestens ideelle Nähe zum Minimalismus, der sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der bildenden Kunst ausprägte, war den musikalischen Minimalisten ja von Anfang an zu eigen. Ebenfalls im Museum wird das Festival dann auch beschlossen werden: mit einem den Bogen von den frühen 1970ern bis immerhin 2003 spannenden Programm, dazu Arbeiten von John Cage, Morton Feldman und Darius Milhaud.
Gewissermaßen das andere Ende dann gibt’s am Wochenende in Gestalt des 6. Sinfoniekonzerts: Da bringt das Niedersächsische Staatsorchester neben Reichs „Desert Music“ (1984) und „Three Movements“ (1986) auch noch den erwähnten, manchmal als schon einer anderen Generation zugehörigen John Adams zur Aufführung: „Common Tones in Simple Time“.
Schon am Freitagabend nehmen sich Studierende der örtlichem Musikhochschule Reichs „Music for 18 Musicians“ vor, sein vielleicht quintessenzielles Stück, 1976 uraufgeführt und geeignet, nahezu alle seiner kompositorischen Prinzipien nachzuweisen – was vorher auch Gegenstand eines einführenden Vortrags mit Hörbeispielen von Imke Misch sein wird. Am Sonntag ist dann ein innerhalb des Genres sehr altes, die nicht zuletzt demokratischen Ansprüche des US-Minimalismus geradezu atmendes Stück zu erleben: Terry Rileys „In C“ (1964). Darin bekommt eine beliebige Anzahl Mitwirkender einen Pool musikalischer Kürzestphrasen an die Hand – zum Damitspielen.
bis Di, 7. 5., diverse Spielorte; alle Infos: www.oper-hannover.de
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