Katrin Seddig Fremd und befremdlich: Der heutige Raucher ist immer mehr ein Jammerer
Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Das Rauchen ist in der Literatur und der Kunst, im Film und auch auf Partys eine der coolsten und elegantesten Tätigkeiten, und das hat sich durch die Schmähung und Verurteilung, durch das öffentliche Bewusstsein seiner Gefährlichkeit, ja Tödlichkeit, nicht sehr geändert. Durch seine Gefährlichkeit hat sich das Rauchen zu einem Akt des Widerstands entwickelt. Wie cool ist jemand, dem das eigene Leben nichts bedeutet?
Aber Raucher fühlen sich heute oft unsicher und in die Ecke gedrängt. Viele Raucher werden böse angeguckt, wenn sie sich ungeniert ihrer Lust hingeben. Ich, als genüssliche Fingernägelkauerin, kann das gut nachempfinden, auch wenn wir Fingernägelkauerinnen nicht aus Lokalen verdrängt werden. Aber auch wir müssen uns oft heimlich und rasch dem Drang nach einem Zipfelchen Nagel hingeben. Allerdings mussten wir nie den Absturz in unserer gesellschaftlichen Akzeptanz erleiden, wir waren nie cool.
In der Realität, und nicht im Film, ist es so: Der Raucher an sich ist nicht cooler als der Nichtraucher. Er ist es in der gesellschaftlichen, kulturellen Wahrnehmung gewesen – auf Partys, auf denen man niemanden zum Reden findet, und aus dieser sich daraus ergebenden Verlegenheit man sich elegant mit Rauchen befreien kann, denn nur rauchend kann man auf Partys auch allein cool wirken – aber als Mensch an sich, das konnte ich in sämtlichen persönlichen Studien erfahren, ist der Raucher ein ganz normaler Mensch, der seine Sucht nicht in den Griff bekommt und zu schlaffer Haut neigt.
Das an sich ist kein Problem. Das machte mir den Menschen sogar sympathisch. Aber derzeit entwickelt sich der Raucher zu einem gereizten Tier, das, eingesperrt, wild um sich beißt, weil er sich von allen Seiten bedrängt fühlt. Und das nimmt ihm auch die früher mühsam künstlich von der Werbeindustrie kreierte Coolness. Der heutige Raucher ist immer mehr ein Jammerer, dessen Weinerlichkeit nur noch von seiner Rücksichtslosigkeit übertroffen wird.
Ostern war ich in Övelgönne, wo neben mir auch noch Tausende anderer Menschen und Hunde im von Zigarettenkippen und Scherben durchsetzen Sand saßen und sich bräunen ließen. Neben mir saß ein Vater mit Kindern, der rauchte, was das Zeug hielt. War er fertig, schnipste er die Zigarettenkippen in den Sand. So macht man das, als cooler Raucher, als der er sich gab. Warum den Millionen Kippen in Övelgönne nicht noch ein paar hinzufügen? Da können die eigenen Kinder kleine Zigarettenkippenburgen bauen.
Was ich gerne getan hätte, aber nicht getan habe, das ist, diesem Mann eine Kopfnuss zu geben. Gewalt ist eine Lösung. Wenn jeder Mensch für jede Zigarettenkippe, die er in den Sand steckt, eine Kopfnuss bekäme, dann würde sich das Problem rasch lösen, da bin ich mir sicher. So aber wehren sich die schleswig-holsteinischen Seebäder bald vielleicht mit einem weiteren Verbot, sie überlegen, das Rauchen an ihren Stränden ganz zu verbieten. Was sagt dazu ein Raucher (Kommentar zum NDR-Bericht): „Rauchen ist mein Leben. Ich rauche wo und soviel ich will.“ Genau. Und ein anderer fragt: „Und weshalb bezahlt man die Strandgebühr?“: Damit man seine Kippen in den Sand schnipsen kann, natürlich. Das Einzige, was helfen würde, sind nicht Aschenbecher, denn warum sollte ein Mensch, der ein großes Vergnügen aus dem coolen Vorgang des Wegschnippens seiner Kippe zieht, aufstehen und woanders hingehen, wo er die Kippe doch nur unspektakulär in einen Aschenbecher legen könnte?
Helfen würde nur die Kopfnuss. Sie müsste automatisch kommen, aus dem Himmel heraus, aus einer Art göttlicher Instanz, die geregelt in den Schutz der Dinge eingreift, die der Allgemeinheit gehören, nicht nur den Menschen, auch den Tieren: Luft, Wasser, Licht, Pflanzen, Erde. Ich denke, es würde funktionieren. An das Verbot glaube ich nicht ganz. Auch wenn ich es probieren würde. Eines mehr oder weniger, darauf kommt es nicht mehr an.
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