Lob des Zeigefingers

THEATER Janne Tellers „Krieg. Stell dir vor, er wäre hier“ lässt keinen in Frieden: In der Regie von Kristina Brons wird der spröde Text in der Schwankhalle zu eindringlichem Theater mit einem Hauch Magie

Erhobene Zeigefinger sind so derartig in Verruf, dass man an ihren ästhetischen Sinn erst mal erinnern muss: Immer nur in Ruhe gelassen zu werden und unverbindlich zu konsumieren, das ist auch nicht schön. Und gerade auf der Theaterbühne funktionieren sie mitunter super: Bert Brecht etwa und Erwin Piscator sind nur durch ihre Zeigefinger groß.

Das ist so, vermutlich, weil jenes Neurotische, das jede Theater-Session nun mal an sich hat – geschlossener Raum, relative Enge, Empathie ohne Ventil et cetera – durch ein entschieden arrangiertes Du Musst! und Du! Sollst! Gefälligst!, das ins andere, ins echte Leben zurückdrängt, letzten Endes pervers-lustvoll auf die Spitze getrieben wird.

Weshalb also Janne Tellers „Krieg. Stell dir vor, er wäre hier“ auf der Bühne viel besser funktioniert, als beim Still-Lesen der 62-Seiten-Predigt. In der Bremer Schwankhalle hat Regisseurin Kristina Brons den Monolog produziert. Der Text, bei Hanser als Jugendbuch gelabelt, ist in seiner Urfassung als Essay erschienen, in einer dänischen Lehrerzeitschrift. Das ist auch das richtigere Genre gewesen: Tatsächlich handelt es sich um ein mit radikaler Strenge durchgeführtes Gedanken-Experiment. Wenn es funktioniert, funktioniert’s altersunabhängig. Und es funktioniert umso besser, je plastischer die Gedankenbedienungsanleitung wird, wenn sie ein Stimme bekommt, und ein Körper auf den sich ihre Wirkungen stellvertretend projizieren lassen. Schauspieler Stephan Möller-Titel hat bei der Premiere anfangs Mühe mit dem litaneihaft-repetitiv aufgebauten Text, den Musiker Digger Barnes durch Country-Einschübe gliedert. Er bewegt sich dann aber immer gekonnter auf jener schmalen Schwelle zwischen Rolle – und Regieanweisung: „Du bist noch unversehrt, aber du hast Angst. Morgens, mittags, abends, nachts.“

Die Geschichte, die aus dem Gerüst rhetorischer Fragen, Apostrophen und Imperative fingiert wird, ist die eines deutschen Jungen. Er flieht mit seiner Familie vor dem Krieg – nach Ägypten. „Das ist die nächste Region, wo es noch Frieden gibt“, sagt er. Die Gesetze des Asyllandes sind schikanös: Asylbewerber dürfen weder arbeiten, noch bekommen sie Unterricht, und, besonders fies: Die Asylbewerber dürfen die Sammelstelle nicht verlassen. Residenzpflicht heißt dieses barbarische Gesetz.

Klar, das ist die Spiegelung deutscher Zustände – verbunden mit dem unausgesprochenen Appell, sie zu ändern, ja, aber doch auch mit einer kulinarischen Dimension: Mit wundervoller Uropa-Technologie setzt Grafik-Performer Pencil Quincy jene Vision ins Werk, lässt bewusst-ungelenke Zeichnungen ihrer Hauptpersonen auf der Leinwand in den Raum treten und lässt andere verdämmern: Ein Hauch von Magie, vielleicht, die jene poetische Dimension des Textes enthüllt, die der gute Wille und der große Zeigefinger und der entschiedene Ernst so leicht verdecken könnten.BENNO SCHIRRMEISTER

Aufführungen: 14., 15., 28., 29. 9., jeweils 20 Uhr, Schwankhalle