: Irak und Heiner Müllers Bitterkeit
betr.: „Die Freiheit ist eine fantastische Sache“, taz vom 10. 8. 05
Christiane Kühl schreibt in ihrem Bericht über das Theaterprojekt „Berlin–Bagdad 2005“ lang und breit darüber, was „sträflich“, was „beinah schmerzlich“ ist, aber nichts über die Produktionen der Theaterleute aus Bagdad, über ihre Kunst des Improvisierens, mit der ein bloßer Fußboden zum theatralischen Ort wird.
Zwei Aufführungen haben sie mitgebracht, eine ist hier entstanden – das gehörte zum Projekt. Bei der ersten wurden mit grotesken Mitteln, mit Slapstick und Pantomime Versuche in Krieg und Nachkrieg Gestrandeter um ein bisschen Gelderwerb bloßgestellt.
Die zweite Produktion, Ergebnis eines Workshops, hatte Premiere an dem Tag, an dem der Artikel erschien. Die dritte stand noch bevor. Schmerzlich sei, schreibt Christiane, dass die Gelegenheit verschenkt wurde zu einem Dialog zwischen den irakischen Künstlern und der „Berliner Öffentlichkeit“. Wenn in der Liste der Danksagungen allein sechs Berliner Theater genannt sind, dürften da wohl Dialoge stattgefunden haben. Freilich hätte „Berlin–Bagdad 2005“ besser popularisiert werden können. Doch wer ist „die Berliner Öffentlichkeit“? Exiliraker, denen der Dialog auch galt, sollte sie dazu zählen. Öffentlichkeit, die das Berliner Theaterpublikum repräsentieren würden, gibt’s nicht mehr, lustige „Events“ haben Konjunktur. Aber die Bitterkeit Heiner Müllers, die auch im Irak Gründe hat?
Die Adaption seiner Texte und ihre Aufführung, wieder improvisiert in einem Raum ohne Bühne, ist das Ergebnis des Workshops, in dem das weltliterarische Niveau des Dichters erlebbar wurde – auch durch Momente ergreifender Schauspielkunst. Die Gültigkeit – etwa des Stücks „Die Schlacht“, das Müller „Szenen aus Deutschland“ nannte – ist bestürzend, weil es über Raum und Zeit hinausgreift, Vorgänge aus Krieg und Nachkrieg hier wie dort, Szenen von Brutalität, von Mord aus Hunger, von Verrat, von Brüdern, die entzweit sind durch Schuld, die den Tod verlangt. Die Szenen sind nicht Vergangenheit geworden, die Schauspieler aus Bagdad hatten die Bitterkeit eigner Erfahrungen für ihre Arbeit zur Verfügung. „Es ist wohl so“, schrieb Müller, „dass die Verräter eine gute Zeit haben, wenn die Völker in Blut gehen.“ URSULA PÜSCHEL, Hohen Neuendorf
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