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Bilder von Macht und Ermächtigung

Die Hamburger Sammlung Falckenberg zeigt in einer umfangreichen Ausstellung Videokunst aus Hamburg. Die einzelnen Arbeiten überzeugen, aber über die Strukturen und Beweggründe der vitalen lokalen Szene erfährt man zu wenig

Von Radek Krolczyk

Hamburger Künstlerinnen und Künstler haben bereits seit den späten 60er-Jahren begonnen, filmisch zu arbeiten. Das zeigt eine umfangreiche Ausstellung zu Hamburger Videokunst, die derzeit in der Sammlung Falckenberg in Hamburg-Harburg zu sehen ist. Auf vier geräumigen Etagen zeigt sie Werke von rund 50 Künstlerinnen und Künstlern – Monitorarbeiten, Projektionen, aber auch aufwendige Installationen, wie etwa Nam June Paiks berühmte, sich selbst auf einem Bildschirm betrachtende Buddha­statue.

Der Hamburgbezug ist dabei ganz unterschiedlich. Aber insgesamt greift der lokale Rahmen, auch jenseits der Biografiefragen, nicht so recht. Einen guten Eindruck, wie rege Künstlerinnen und Künstler in Hamburg bereits seit Jahrzehnten mit Video arbeiten, den bekommt man aber. Und erstaunlich ist dabei, wie gut hier eine ganz aktuelle Szene erfasst ist: Neben dem Theaterduo Gintersdorfer/Klaßen sind Arbeiten von so viel diskutierten Künstlerinnen und Künstler wie Steffen Zillig, Annika Kahrs und Stefan Panhans zu sehen.

Kuratiert hat die Ausstellung ein Hamburger Künstler, der selbst hauptsächlich mit Video arbeitet – Wolfgang Oelze. Den Begriff „Videokunst“ verwendet Oelze dabei ganz unorthodox: Er fungiert als eine Art Formel für die künstlerische Anwendung niedrigschwelliger filmischer Techniken, die keine teure Apparatur, kein großes Studio mehr benötigen: 16 mm, Super-8, die vielen seltsamen frühen Videoformate, von denen sich schließlich das VHS-System durchsetzte, oder eben digitale Aufnahmetechnik.

Video war das erste Medium, mit dem sich auf direktem Wege zu Hause im Wohnzimmer im Fernsehen übertragene Sendungen aufzeichnen ließen. Für den Alltag bedeutete das zunächst, dass es möglich wurde, sich ohne große Umstände seiner Umgebung zu ermächtigen, wobei die spontane Ermächtigung auch die zentral produzierten Bilder des staatlichen Fernsehprogramms erfasst: Beides steht auf diese Weise plötzlich zur Disposition.

Ambivalentes Medium

Entsprechend hat Künstler-Kurator Wolfgang Oelze als Prolog zu seiner Ausstellung drei Filme installiert, die ganz direkt dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen der alten Bundesrepublik entnommen sind. Neben einer Sondersendung des WDR zur Mondlandung 1969, in deren Zentrum Aufnahmen eines Studionachbaus von Landestation und Cockpit stehen, ist es die kurze Anmoderation der Fernsehsprecherin Christine Steinfeld 1979 zu einer Sendung, in der es ausgerechnet um das neue Medium Video gehen soll. Die Moderatorin erwähnt dabei die Chancen von Video als demokratisches Bürgermedium ebenso wie dessen Gefahren als ein staatliches Überwachungsinstrument.

Zwischen diesen Polen bewegen sich die Arbeiten auf der unteren Ebene der Sammlung Falckenberg, auf der Oelze das Thema der (optischen) Erfassung von Räumen dicht verfolgt. Schon an den hier ausgestellten Werken wird die Ambivalenz des Mediums sichtbar: Sobald man vor einer der Videoarbeiten haltmacht, betritt man einen Weg. Die Masse an gefilmten und projizierten Wegen lässt die Erfahrung physisch werden. Man bewegt sich zusammen mit dem Kamerablick, folgt einem Zweck oder reiner Neugierde. Man erfährt, wie leicht die eben noch subversiv daherkommende Ermächtigung in repressive Machtausübung kippen kann.

Von Wolfgang Oelze selbst stammt der 2014 fertiggestellte Film „Lock“, in dem wir dem Blick einer versteckten Handkamera folgen, die auf den Straßen Libanons einem schweren, schwarzen Militärtransporter folgt. Aus dem selben Jahr ist Hans Stützers „Friedrichsruh“, in dem man holpernd den Weg in einem privaten Garten am Rande von Hamburg abschreitet und ein ums andere Mal billige Gipsfiguren und umgefallene Elektrofackeln passiert. Dem Blick geht alle Macht verloren, weil er sich in allzu starren Bahnen verfangen hat – wie bei einer Psychose.

Je weiter es nach oben geht, desto mehr franst die Ausstellung dann aus. Die Anordnung der filmischen Arbeiten scheint beliebiger zu werden. Immerhin: Es sind meist sehr sehenswerte Exemplare der Videokunst aneinandergereiht. Die Ausstellungstexte behaupten dazu eine Konzentration auf Themen, die der Videokunst eigen seien. Aber worauf sonst sollen sich Arbeiten in einer solchen Ausstellung auch konzentrieren, als auf die hier genannten? Narration, Selbstbespiegelung, Konstruktion von Realität. Das ist deutlich zu allgemein – und schmälert doch keineswegs die Qualität der gezeigten Werke.

Mediale Realitätsentwürfe

Stefan Panhans lässt in seinem Film „Freeroam À Rebours, Mod#I.1“ genau umgekehrt zum gewöhnlichen Vorgang Schauspielerinnen und Schauspieler Bewegungen wie Figuren aus Computerspielen vollziehen. Panhans tut das mit seiner gewohnten kritischen Lust an glatten Konsumbildern, die er unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen lässt.

In die Kategorie der medialen Realistätsentwürfe fällt auch Steffen Zilligs „Geordneter Rückzug“ von 2017. Auf der projizierten Bildfläche öffnen und schließen sich nach und nach per Mausklick unterschiedliche Socialmediakanäle. Die Nutzerinnen und Nutzer verbreiten gewohnt seltsame Theorien zum Angriff auf die Türme des World Trade Centers 2001 sowie über die vermeintlich wahre Identität der „herrschenden Klasse“ als Reptiloide. Dazu spielt jemand im Keller auf seiner Heimorgel Pink Floyds „Shine On You Crazy Diamond“.

Blick auf die Apparatur

Von Harun Farocki ist auf einem kleinen Screen „Ein neues Produkt“ von 2012 zu sehen. Man sieht hauptsächlich Männer in einem Besprechungsraum: Die Mitarbeiter der in der Hamburger Hafencity ansässigen Unternehmensberatung Quickborner Team entwerfen etwas an einer Flipchart, führen Gespräche, assoziieren für den Zuschauer unverständlich. Man hat aber den starken Eindruck, sie täten es für den Zuschauer. Was dieses „neue Produkt“ sein könnte, das da erdacht wird, verrät der Film nicht. Fast wirkt „Ein neues Produkt“ wie ein Imagefilm – doch dafür sind die Bilder wiederum zu wenig glatt, die Reden viel zu wirr und spontan.

Zu sehen bekommt man in Farockis Film aber etwas, das sich gleich wieder entzieht: den Produktionsprozess. Da die Apparatur für diese Kunst so zentral ist, wäre es gut gewesen, mehr über die Bedingungen zu erfahren, unter denen sie entsteht.

Überhaupt: Wenn es um eine lokale Szene gehen soll, dann sollten einige ihrer Produktionsbedingungen offengelegt werden: die Strukturen in der Stadt, die die Entstehung gerade von Videokunst befördern. Zu fragen wäre etwa, welche Rolle der NDR oder die Kunsthochschule spielen, welche selbstorganisierten Strukturen geschaffen wurden, welche Themen verhandelt werden.

Sonst bleibt die Rede von der Hamburger Videokunstszene einigermaßen leer – und statt einer Szene gibt es lose Einzelpositionen.

Bis 3. 11., Sammlung Falckenberg, Hamburg

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