: Einfach nur gut sein
FUSSBALL Angreifer Frédéric Kanouté, heute mit dem FC Sevilla beim VfB Stuttgart in der Champions League zu Gast, zeigt auch abseits des Spielfelds Engagement
FRÉDÉRIC KANOUTÉ
AUS SEVILLA RONALD RENG
Im zwölften Jahr als Profifußballer interessiert ihn Fußball noch immer wenig. Der Verdacht entsteht schnell beim Gespräch mit Frédéric Kanouté. Er redet eindringlich über Themen wie Immigration, wird aber oft oberflächlich, sobald es um seinen Beruf geht. „Fußball spiele ich, Fußball spreche ich nicht“, sagte er einmal und lächelte entschuldigend. Hinter ihm drang laute Popmusik aus der Umkleidekabine des FC Sevilla. In der Ausgelassenheit der Profis nach dem Training „lache ich genauso wie alle anderen“, sagte Kanouté. „Nur manchmal fragen die Mitspieler, warum ich in einigen Sachen anders bin.“
Frédéric Kanouté, der an diesem Dienstag mit der vom Massenpublikum noch immer unerkannten Weltklasseelf des FC Sevilla in der Champions-League-Vorrunde den VfB Stuttgart besucht, möchte den Eindruck gern vermeiden, er sei besonders. Aber seine Taten kommen ihm immer dazwischen. Er ist ein Stürmer von einnehmender Eleganz in den Bewegungen und Eiseskälte vor dem Tor, der den Aufstieg Sevillas zum zweifachen Uefa-Cup-Sieger symbolisiert. Und er ist ein Mann, der ein paar Prinzipien hat, „wie die ganze Welt doch auch“, tut er es ab. Bloß reden die meisten Menschen viel über ihre Überzeugungen, und Kanouté handelt danach.
Er hat die Werbung für einen Wettanbieter auf seinem Vereinstrikot überklebt, weil „das Glücksspiel Menschen täuscht und zerstört“. Als Israel Anfang des Jahres Gaza bombardierte, zog er nach einem Tor sein Trikot über den Kopf, um dem Publikum ein schwarzes T-Shirt mit dem einzigen Wort „Palästina“ darauf zu zeigen. Aufgewachsen in den Trabantenstädten Lyons, spielt er nicht nur für die Nationalelf von Mali, dem Geburtsland seines Vaters, sondern baute dort mit seinem Vermögen ein Zentrum für Waisenkinder mit Schule und Krankenhaus auf. Als eine muslimische Gemeinde in Sevilla ihr Gotteshaus zu verlieren drohte, kaufte Kanouté die Moschee für sie. Wenn er darüber spricht, klingt es, als sei das alles ganz normal.
In der Moschee an der Plaza Ponce de León sollte Ende 2007 die Miete erhöht werden. Die Moslemgemeinde musste passen. Kanouté, der mit 20 zum Islam konvertierte, erwarb die Lokalität kurzerhand für 510.000 Euro, um es als Moschee zu erhalten. Er sagte: „Das war eine ganz normale Investition in ein Gebäude in zentraler Lage“, so wie seine Geste für Palästina „weder eine politische noch eine religiöse Botschaft war, sondern ein Zeichen gegen die Gräuel“. In Zeiten, da Muslime in Europa oft pauschal als Radikale wahrgenommen werden, achtet er sorgfältig darauf, nicht als Agitator missverstanden zu werden. „Du musst nicht Muslim sein, um zu handeln wie ich. Leute aller Religionen glauben an die Pflicht der Menschlichkeit.“
Freundlich und zurückhaltend ist ihm der Eifer völlig fremd, der Menschen zu oft verzerrt, wenn sie glauben, für Gerechtigkeit zu kämpfen. So überklebte er die Trikotwerbung für das Wettspiel nur zweimal, um seinen Standpunkt deutlich zu machen. „Ich wollte kein dauerhaftes Politikum schaffen. Ich verstehe, dass ich nicht das Gehalt eines Profis nehmen und mich gleichzeitig gegen die Finanzierung des Fußballs sperren kann.“ Die Popmusik aus der Kabine lief noch, als er erzählte, wie er auf jedem Flug nach Mali in den hinteren Reihen Männer in Handschellen sieht; illegale Immigranten, die „wie Verbrecher“ abgeschoben werden. „Es stimmt mich unendlich traurig. Aber ich kann kein Moralist sein, denn ich habe auch keine Lösung für das Problem.“ Bei allem, was man über ihn weiß, entsteht der Eindruck: Frédéric Kanouté will einfach nur gut sein und dabei keinen Ärger haben.
Dann war er sogar so gut, doch noch ein wenig über Fußball zu reden. Er ist, auch mit 32, der vollständige Stürmer. Jede Saison schießt er über 15 Tore und bereitet ähnlich viele vor. Sevillas Vielseitigkeit hängt an ihm: Ihn können sie mit kurzen oder langen, mit hohen oder flachen Pässen suchen. Ob er in Stuttgart in der Startelf steht, ist wie vor jedem Spiel trotzdem ungewiss; es ist das ultimative Qualitätsmerkmal einer Elf, die als Tabellendritter in Spanien Barcelona und Real Madrid nicht aus den Augen lässt: Sie haben in ihm, Luis Fabiano und Álvaro Negredo nun Angriffsklasse im Überfluss, einer der drei pausiert immer. „Wir sind ein Team, das Ball und Raum dominieren will, aber dabei den extrem schnellen Spielzug sucht“, sagte Kanouté, der durch den Fußball zur Ikone wurde, aber davon überzeugt ist, dass ein Mensch immer das bleibt, was er einmal war: „Ich bin kein Idol, sondern der Sohn armer Leute.“