berliner szenen
: Ein Profilfoto sagt nichts aus

Im Café wird man oft abgelenkt. Trotzdem sitze ich dort gerne und schreibe. Manchmal lausche ich Geschichten. Diese hier ist vielversprechend: ein Tinder-Date.

Mann und Frau sitzen dicht nebeneinander auf dem Sofa. Er, zehn Jahre älter als sie, fragt, ob sie der Altersunterschied stört. (Zehn Jahre? So alt sieht er gar nicht aus. Aber gut, ich sah bisher vor allem den Rücken.) „Es wäre nicht das erste Mal“, kommentiert die Frau darauf hin zwinkernd. Sie scheint ihm zu imponieren.

Gerne würde ich sein Gesicht sehen. Dazu müsste ich mich jedoch arg zur Seite lehnen. Das wäre auffällig. Ihres sehe ich. Sie lacht nett. Sieht aus, als wäre sie so um die 30. Und sie ist Vegetarierin, das habe ich bisher erfahren.

Ansonsten eigentlich nichts. Anscheinend haben sie sich nichts zu sagen. Sie sprechen bloß über Tinder und die Erfahrungen, die sie damit gemacht haben. Sie hatte einmal einen Stalker, erzählt sie. Von ihrem Gesprächspartner will sie dann wissen, ob er sie vor dem Treffen eigentlich anrief, um ihre Stimme zu hören. Er verneint, sagt, er habe nicht abwarten können, bis sie zurückschreibe. Es folgt ein langer Blick in die Augen. Dann geht es um ihre Profilbilder.

Die beiden sind sich einig, dass ein Foto nichts aussagt, man sich persönlich treffen müsse, um zu wissen, woran man ist. (Und um dann über nichts anderes zu sprechen als über Tinder?) Oft sehe die Person eigentlich ganz anders aus, sagt sie. Und er? Natürlich. Er antwortet, dass sie „in echt“ viel hübscher sei als auf ihrem Foto! Seit über einer halben Stunde geht das nun so. Ich schüttle den Kopf.

Langweilig, das wird heute nichts mehr, denke ich. Klappe den Laptop zu. Ich zahle. Sage laut: „Schönen Tag noch, tschüs“, zu dem Kellner – vielmehr jedoch zu den beiden. Verlasse das Café und suche mir zum Schreiben einen neuen Platz. Lea De Gregorio