Auf die schnelle Tour

Einige Probleme des Lebens lassen sich doch in der Kneipe angehen – nämlich beim „Speed Coaching“

Wenn bei drängenden Fragen Freunde und Familie keine Tipps geben können, kommt man hier vorbei. Oder wenn sich in der Anonymität der Großstadt gar niemand findet, den die eigenen Probleme etwas angehen: beim „Speed Coaching“. Das gibt es seit Juli einmal im Monat, Speed-Dating ist das Vorbild. Wenn man in wenigen Minuten den Partner fürs Leben finden kann – wieso nicht auch Hilfe bei wichtigen Lebensfragen?

Das Hinterzimmer der Kneipe Kaiserstein in Berlin-Kreuzberg. Trübes Licht, fünf Holztische, fünf Probleme, fünf Berater, fünf mal zehn Minuten Zeit. Ein Schlag auf die Triangel; es geht los. Lösungen bitte, jetzt!

Gerhard Hagemeier, 48, graue Haare, enges schwarzes T-Shirt, hat extra seinen Volleyballabend ausfallen lassen. Sein Problem: Er hat vor fünf Jahren sein Hobby zum Beruf gemacht und kann nicht wirklich davon leben. Er führt Kanugruppen, jetzt hat er das Angebot, eine neue Kanustation aufzubauen. Dann wäre er aber eher Manager an Land als auf dem Wasser unterwegs. Soll er dem Ruf des Geldes folgen oder bei seiner Leidenschaft bleiben? Er hat seine Situation schon genau analysiert. Anita Mosch, die junge Endzwanzigerin ihm gegenüber, der Coach, sagt: „Verstehe“.

Die Berliner Lebensberater nennen sich CoachingKollektiv, sie sind hauptberuflich Pädagoge, Politikwissenschaftler, Friseurin – oder arbeitslos. Als sich die Handvoll Leute bei der Fortbildung zum Bildungs- und Berufsbegleiter trafen, waren sie überrascht, dass es so etwas wie „Speed Coaching“ noch gar nicht gab. Zumindest nicht hier. Probleme hatten die Menschen schon immer, aber jetzt trauen sie sich häufiger, Profis um Hilfe zu bitten. Heute ist es eher chic als seltsam, sich beraten zu lassen. Und so ein „Speed Coaching“ ist eine gute Möglichkeit, das mal auszuprobieren.

Köpfe nicken, alle machen sich Notizen und Gerhard Hagemeier wird hellhörig. „Sie meinen, ich könnte bei dem Job Kontakte für meine eigene Firma knüpfen?“ Das schreibt er auf seinen Zettel. Die Zeit ist um.

Beim zweiten Tisch die gleiche Geschichte, beim dritten Tisch sagt Hagemeiers Gegenüber: „Wir können uns auch zehn Minuten nur anschauen.“ Aber das geht nicht, es geht ja nicht um nette Bekanntschaften, sondern um Erfolge. Dazu stellen die Coaches auch unangenehme Fragen. Drückt man sich beispielsweise aus Bequemlichkeit vor einer Entscheidung? „Es kommt hier niemand zu klaren Lösungen“, sagt Coach Niels Petring, der lange in der Kinder- und Jugendhilfe gearbeitet hat. „Aber mit uns kann man herauszufinden, was man wirklich will.“ Ihm wie den anderen geht es erst mal nicht ums Geschäft. Dafür würden die 10 Euro Gebühr pro Person auch gar nicht reichen.

Prinzipiell sind viele Gesprächsthemen denkbar, ob Liebeskummer oder Erziehungsfragen. Aber fast alle kommen, weil sie unzufrieden mit ihrer Arbeit sind. Weil sie gerne etwas anderes machen würden, aber nicht genau wissen, was und wie. Solche Fragen sind auch die besseren, denn bei heftigen psychologischen Problemen können die Coaches sowieso nur sagen: Gehen Sie zum Therapeuten.

Nach dem fünften Tisch und 50 Minuten Coaching ist Gerhard Hagemeier in erster Linie erschöpft. „Es hat mich gestresst“, sagt er und dreht sich vor der Tür eine Zigarette. „Viel Neues war nicht dabei, aber einige Denkanstöße.“ Vor allem fühlt er sich bestätigt, dass seine eigenen Überlegungen und Ideen – wie die Arbeit an der Kanustation zu teilen – nicht so schlecht sind. Und das ist ja schon mal etwas in dieser Welt voller Entscheidungsdruck. SEBASTIAN ERB