: Kann man noch auf Obama hoffen?JA
USA Im Wahlkampf vor vier Jahren wurde er als Heilsbringer verehrt. Doch viele seiner Versprechen konnte er nicht halten
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Christiane Lemke, 60, lehrt Politikwissenschaften an der New York University
Obama hat von George W. Bush ein schweres Erbe übernommen. Die USA befanden sich mitten in einer tiefen, noch anhaltenden Wirtschafts- und Finanzkrise. Auch wenn die Arbeitslosigkeit nicht gesenkt werden konnte, hat es Obama geschafft, mit einem Rettungspaket für die Autoindustrie, Infrastrukturmaßnahmen, Hilfen für die Banken und Unterstützung in der Immobilienkrise Wege aus der Krise zu beschreiten. Es ist dennoch nicht absehbar, ob Obama in einer zweiten Amtszeit seine Reform-Agenda weiterführen kann. Denn auch das Abgeordnetenhaus und ein Teil des Senats werden neu gewählt. Gewinnen die Republikaner dort, werden die Hoffnungen auf Sozialreformen gedämpft. Das wird die Kultur der Unversöhnlichkeit zwischen beiden Parteien vertiefen. Obama kann es helfen, dass die Republikaner in einer tiefen Krise sind und die mehrheitlich moderate Bevölkerung am Fairness-Gedanken des amerikanischen Traums festhält.
Michael Hüther, 50, ist seit 2004 Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft KölnAuf dem Parteitag der Demokraten sagte Obama, dass die USA vor der Entscheidung zwischen „zwei fundamental verschiedenen Visionen für die Zukunft“ stehen. Richtig! Es gibt keine Alternative. Der republikanische Herausforderer Romney hat sich vor allem durch Patzer einen Namen gemacht – und durch ein Wahlprogramm, das die USA zurück in die Vergangenheit führen würde. Aus Obama ist – bei allen Schwächen – ein Staatsmann geworden, der nicht mehr von Hoffnung spricht, sondern von Verantwortung. Es ist nicht leicht, die USA aus der Finanzkrise zu manövrieren. Die Sanierung des Staatshaushalts kann ohne Steuererhöhungen nicht gelingen. Das wird ein unvermeidlicher Konflikt. Die Kraft zum Kompromiss wird man von ihm erwarten dürfen.
Avi Primor, 77, ist seit 2010 Präsident der Israelischen Gesellschaft für Außenpolitik
Seit Obama Präsident ist, beschäftigt er sich mit dem Nahostkonflikt. Leider wandte er aber eine falsche Taktik an. Er setzte Israel unter Druck, die Bauarbeiten in den Siedlungen einzustellen. Obwohl er ein Moratorium von zehn Monaten erzielte, brachte das wenig. Nach einer Wiederwahl sollte er die Kontrahenten dazu drängen, zuerst die Frage der Grenzen zu verhandeln. Obamas Druck könnte entscheidend sein. Sind erst die Grenzen akzeptiert, wird es auch keine Siedlungsfrage mehr geben. Selbst das rechte Lager in Israel würde keine Siedlungen jenseits der Grenze bauen. Die anderen Fragen des Friedensvertrags wären dann einfach zu lösen.
Cynthia Barcomi, 49, stammt aus Seattle und ist in Berlin berühmt für ihre Bagels
Natürlich sind viele von uns enttäuscht von Barack Obama, seitdem er Präsident ist. Er konnte sich oft nicht durchsetzen, ihm fehlte Erfahrung in Washington. Aber Bill Clinton hat es auf dem Parteitag der Demokraten richtig gesagt: Kein Mensch hätte all die Probleme lösen können, die anstanden. Und Obama hat viel gelernt, er setzt sich mit den Themen auseinander. Wir brauchen ihn.
NEIN
Murat Kurnaz, 30. Der Bremer wurde über vier Jahre in Guantánamo festgehalten
Ich bin von Barack Obama nicht enttäuscht worden, denn ich war von Anfang an skeptisch, ob er das Gefangenenlager Guantánamo wirklich schließt. Die Verlegung der Gefangenen auf das amerikanische Festland wäre auch keine Lösung. Es geht vielmehr darum, den Grundsatz, Menschen rechtlos zu stellen und sie dann auch so zu behandeln, aufzugeben. Und da wollte leider auch Präsident Obama nicht ran. Genauso wenig geht er gegen die Verantwortlichen für Folter vor. Das ist schade, aber wahr.
Maja Liebing, 30, ist Amerikareferentin bei Amnesty International Deutschland
George W. Bush rief den „war on terror“ aus. Die Hoffnung war groß, dass Barack Obama ihn beendet. Zwar hat er die CIA-Geheimgefängnisse geschlossen, Folter verboten und spricht auch nicht mehr vom „war on terror“; aber die von ihm angeordnete Ausweitung des Drohnenkrieges folgt der gleichen Logik eines globalen Krieges. Die Drohnen treffen immer wieder unbeteiligte Zivilisten. Zudem fliegen sie ihre Angriffe auch dort, wo man völkerrechtlich nicht von einem Krieg sprechen kann. Das heißt, es handelt sich um Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren. Der nächste US-Präsident, wie auch immer er heißt, muss den Kampf gegen Terrorismus endlich mit internationalem Recht in Einklang bringen. Erst dann können die USA wieder glaubwürdig für Menschenrechte eintreten.
Stefan Krug, 51, ist Leiter der politischen Vertretung von Greenpeace in Berlin
Nicht beim Umweltschutz. Dass Obama der Gesundheitsreform Vorrang vor dem Klimaschutz gab, war fatal, wenn auch innenpolitisch verständlich. Dass er aber dem Kreuzzug der Republikaner gegen Umweltschutz fast nichts entgegensetzte, offenbart die Schwäche des Präsidenten und die Macht der Öl-, Kohle- und Agrarlobby. Unter Obama blockieren die USA wie gehabt international bindende Klima- und Umweltabkommen. Obama unterstützt, dass 40 Prozent der US-Getreideernte in Autotanks wandern, und fördert den Bau von Atomkraftwerken. Zwei Jahre nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko wird unvermindert nach Tiefseeöl gebohrt. Ja, die CO2-Standards für Autos und Kraftwerke waren Lichtblicke. Aber Obama kann die Blockade des 2-Parteien-Systems und die Macht der Lobbys nicht brechen. Hoffen sollte man nicht auf ihn, sondern auf mutige, kreative Pioniere in den Bundesstaaten, die den ökologischen Umbau anpacken. Ohne auf ihn zu warten.
Uwe Roos, 48, psychologischer Berater und Journalist, hat die Frage auf taz.de kommentiert
In Obama wurden Erwartungen projiziert, die er unter keinen Umständen einlösen konnte. Durch die Annahme des Nobelpreises befeuerte er diese Haltung, das war sein großer Fehler. Die Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit werden auch nicht durch eine Krankenversicherung für alle abgemildert. Auf der Sollseite seiner Bilanz stehen zu viele leere Absichtserklärungen und ökonomisch-politische Faktoren, die sich dem Einflussbereich der amerikanischen Administration entziehen.