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Archiv-Artikel

Jenseits von „Rio+20“

PERSPEKTIVEN Konferenzen wie seinerzeit „Rio“ und nun „Rio+20“ haben viele enttäuscht. Während große Würfe zu scheitern scheinen, führen aber kleine Schritte zu einem positiven Wandel – oft unbemerkt. Der Faire Handel spielt dabei eine entscheidende Rolle

Editorial

■ Die Akteure des Fairen Handels freuen sich mal wieder über das Wachstum ihrer Branche. Diese frohe Kunde anlässlich der Fairen Woche, die gestern begann und bis 28. September andauert, wird langsam zur gewohnten Begleitmusik der bundesweiten Veranstaltungsreihe. Also same procedure as every year? Wer aus der Nische herauswächst, hat auch bei aller Dynamik einen weiten Weg vor sich. Es gibt also nach wie vor einiges zu erschließen. Und das läuft weder immer ganz harmonisch, wie etwa beim Teilausstieg des Fair-Trade-Pioniers Gepa aus dem Fair-Trade-Siegel. Noch ist Fairer Handel automatisch auf Erfolg gebucht, wie das Scheitern des Blumen-Labels FLP zeigte. Gute Nachrichten gibt es trotzdem aus vielen Bereichen. Und eine Reihe erfreulicher Fortschritte – wenn auch oft im Kleinen. Ein genauer Blick auf den Fairen Handel lohnt also auf jeden Fall.

VON ANTJE STIEBITZ

Während sich die Politik den diesjährigen „Rio+20“-Gipfel schönredete, zeigten sich Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) für Umwelt und Menschenrechte maßlos enttäuscht: Bequem, ziellos und unverbindlich, bilanzierten sie angesichts des um sich greifenden Klimawandels, aussterbender Tier- und Pflanzenarten und über einer Milliarde hungernder Menschen. Dabei sahen auf dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro vor 20 Jahren alle noch hoffnungsvoll in die Zukunft und der Begriff „Nachhaltigkeit“ trat seinen Siegeszug an: Ob Regierungsvertreter, Unternehmen oder NGOs – jeder nahm das Wort ins Vokabular auf und deutete es in seinem Sinne. Michael Frein, Referent für Welthandel und Umwelt vom Evangelischen Entwicklungsdienst, kommentiert das folgendermaßen: „Die Tatsache, dass zwei doch einigermaßen konträre ökonomische Konzepte für sich in Anspruch nehmen können, im Einklang mit einer nachhaltigen Entwicklung zu stehen, mag erstaunen.“

Das Konzept der Nachhaltigkeit besagt zunächst einmal, dass einem System nur so viele Ressourcen entnommen werden dürfen, dass es sich auf natürliche Weise regenerieren kann. Dem Begriff werden drei Säulen zugeordnet: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Der liberalisierte Weltmarkt schenkt vor allem der Ebene der Ökonomie Beachtung und geht davon aus, dass das daraus resultierende Wachstum die zwei Ebenen Ökologie und Soziales automatisch mit sich bringt. Der Faire Handel hingegen stellt den Menschen in den Mittelpunkt: Von den drei Säulen der Nachhaltigkeit misst er vor allem der sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Verträglichkeit entscheidenden Wert bei und lässt diese beiden das wirtschaftliche Handeln bestimmen. Nicht das freie Spiel der Marktkräfte ist das Ziel, sondern dessen Regulierung zugunsten der sozialen und ökologischen Bedingung.

Der Brundtland-Bericht von 1987, den die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung herausgab, stellt fest, dass das Konzept der nachhaltigen Entwicklung Grenzen impliziere. Deshalb sei es ratsam, sich darauf zu konzentrieren, die menschlichen Grundbedürfnisse zu befriedigen und dabei die lokale Bevölkerung aktiv einzubinden. Genau das will der Faire Handel. Er garantiert den Erzeugern Mindestpreise, hält sich an Richtlinien für den Arbeitsschutz und versucht soziale und ökologische Bedingungen der Erzeuger zu verbessern. Dafür zahlen Verbraucher dann höhere Preise.

Die Konsumenten sind offensichtlich bereit, diesen zu zahlen: Nach Angaben des Netzwerks Forum Fairer Handel gaben die Konsumenten in Deutschland im letzten Jahr 477 Millionen Euro für fair gehandelte Produkte aus. Das entspreche – trotz Krisenzeiten – einem Jahreswachstum von 16 Prozent. Wachstumsmotor für den Fairen Handel seien vor allem Kaffee, Südfrüchte und Blumen, erklärt die Forum-Geschäftsführerin Antje Edler. Von den Vorteilen des Fairen Handels, also einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation, profitierten weltweit über sechs Millionen Menschen. Allerdings machten den Kleinproduzenten die Preisschwankungen der krisengeschüttelten Weltmärkte gewaltig zu schaffen. „Unter Spekulationen mit Agrarprodukten leiden vor allem arme Familien in Entwicklungsländern“, berichtet Marita Wiggerthale von Oxfam und fordert deshalb von der Bundesregierung, dass sie endlich effektive Regulierungen der europäischen Handelsplätze durchsetzen soll.

Nachhaltigkeit bedarf keiner Konferenzbeschlüsse, auf das Handeln kommt es an

Doch der Sinn und Nutzen des Fairen Handels beschränkt sich nicht auf Preisfragen – das beweisen mehrere Studien: Dadurch, dass die fairen Produkte den Erzeugern wirtschaftliche Sicherheit bieten, wird auch der soziale Zusammenhalt in der Familie und der dörflichen Gemeinschaft gefördert. Außerdem führt der Faire Handel häufig dazu, dass sich die wirtschaftlichen Gemeinschaften organisieren, um dann nach außen als ernstzunehmende Verhandlungspartner aufzutreten. Die Bauern gewinnen an Würde und Selbstvertrauen, auch wenn es sich dabei um schwer zu messende Werte handelt.

Die Wirtschaftspolitik, schreibt Frein, werde künftig verstärkt auf einen nachhaltigen Entwicklungsweg einschwenken. Und dafür könne der Faire Handel, auch unabhängig von einem Konferenzergebnis in Rio, wichtige Impulse liefern.