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Archiv-Artikel

Anti-AKW-Szene im Visier

Die Staatsanwaltschaft Lüneburg rudert zurück: Die bei einer Hausdurchsuchung im Wendland beschlagnahmten Datenträger müssen möglicherweise unausgewertet zurückgegeben werden

Der Staatsanwalt: „Dann werden wir sehen, was wir davon behalten können“

von Eiken Bruhn

Erst einmal so viel wie möglich mitnehmen, dann prüfen, ob man mit dem Beschlagnahmten auch etwas anfangen kann. Nach dieser Methode scheint derzeit die Staatsanwaltschaft Lüneburg vorzugehen. Weil zwei niedersächsische Atomkraftgegner öffentlich zum Ladendiebstahl aufgerufen haben sollen, durchsuchten Polizisten am 11. August ihre Wohnungen im wendländischen Tollenstedt und beschlagnahmten Computer, CD-ROMs und Disketten sowie einen Haufen Schriftstücke (taz berichtete). „Sogar eine Kiste, wo ‚Fotos vom Castortransport 2001‘ draufsteht, haben sie mitgenommen“, sagt einer der beiden Betroffenen, der 47-jährige Martin N., irritiert.

Doch wie viel und ob überhaupt etwas davon genauer unter die Lupe genommen werden darf, ist noch unklar. Voraussichtlich Anfang nächster Woche werde die Polizei mit den einkassierten Gegenständen bei der Staatsanwaltschaft erscheinen, sagte gestern deren Sprecher Manfred Warnecke. „Dann werden wir sehen, was wir davon behalten können.“ Schließlich handele es sich laut Warnecke „angeblich“ um Redaktionsräume, für die ein besonderer Schutz gilt. Eine Tatsache, die der Staatsanwaltschaft zunächst nicht bekannt gewesen sei, wie Warnecke einräumte. Mittlerweile hätten sich auch Personen gemeldet, die der aaa-Redaktion Texte zur Verfügung gestellt hätten und ihr Eigentum zurückfordern. Er gehe aber davon aus, dass man Unterlagen über den „Aufruf“ finden und auswerten könne.

Was das sein könnte, das würde auch Martin N. gerne wissen. Alles, was er getan habe sei, das „Prekär-Camp“ mit organisiert zu haben, bei dem die Beschäftigung mit der Aktionsform „Yomango“ auf der Tagesordnung stand. Yomango bedeutet auf Deutsch „ich klaue“ und soll nach Darstellung der spanischen Erfinder einen Weg bieten, die Regeln des kapitalistischen Systems zu durchbrechen. „Es geht nicht ums Klauen, sondern darum, dass es in dieser Gesellschaft Menschen gibt, die stehlen müssen, um zu überleben“, verteidigt sich Martin N., der Inhaber der Website, auf der das Programm nachzulesen ist. Dort steht lediglich „PraXIS-workshop für die Herstellung von Hilfsmitteln zur Aneignung verschiedener Wünsche (und Lebensräume)“ und „YOMANGO-Modenschau (möglichst mit Umsonst-Büfett)“. Hinweise über tatsächliche Ladendiebstähle, die in Zusammenhang mit dem Camp stünden, gebe es seines Wissens nach nicht, sagt Staatsanwaltschaft Warnecke. „Aber das muss nichts heißen.“

Kunst oder Straftat? Anlass genug für eine Hausdurchsuchung? Fragen, mit denen sich jetzt die Anwälte von Martin N. und Elisabeth K. beschäftigen. Sie haben Widerspruch gegen die Maßnahmen eingelegt. „Das war unverhältnismäßig“, ärgert sich Martin N. Er glaubt, dass es den Ermittlern gar nicht um mögliche Ladendiebstähle ging, sondern vielmehr darum, in der Atomkraftgegner-Szene herumzuschnüffeln und sie einzuschüchtern.

Erst im April hatte ein Heidelberger Antiatom-Aktivist eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen müssen, ebenfalls wegen einer angeblichen Aufforderung zu Straftaten. Auch in diesem Fall drängte sich die Frage auf, ob das Interesse der Staatsanwaltschaft ein anderes als das vorgegebene war.

Die nächste Ausgabe der aaa soll im übrigen trotz der erschwerten Arbeitsbedingungen am 5. September erscheinen.