Bernhard Pötter Wir retten die Welt: Vor 450.000 Jahren: der echte Brexit
Zumindest ein Gutes hat diese verdammte Brexit-Farce: Wenn sich beim Abendessen alle laut und hektisch um die Gemüselasagne balgen, schafft ein lautes „Oordeeeer!“ einen kurzen Moment der Ruhe. Nicht, dass das langfristig was nutzt. Aber das Problem hat John Bercow ja auch: Im britischen Unterhaus, wo er Sprecher ist, fehlt nichts so sehr wie Oordeeeer. Trotzdem werde ich das Inselvolk vermissen, ihre stiff upper lip, ihre höfliche Selbstironie, ihre Spitzenposition beim Klimaschutz. Also all das, was mit dem Brexit gerade die Themse runtergeht.
Da tröstet das Wissenschaftsmagazin New Scientist. Er titelt: „The Original Brexit – Die katastrophale Geschichte, wie Britannien zum ersten Mal Europa verließ“, und beschreibt, wie die Insel zur Insel wurde: Eigentlich verbindet ein kleiner Höhenzug (der „Weald-Artois-Grat“) England und Europa. „Wir waren sehr schön integriert“, schreibt der New Scientist, bis vor 450.000 Jahren ein riesiger Gletschersee in der Nordsee brach und die Verbindung wegfegte. Die On-off-Beziehung zu Europa begann, das Meer senkte sich, die Landverbindung „diente als Backstop und verhinderte einen sauberen Brexit“, heißt es weiter. In verschiedenen Eiszeiten fror die Gegend ein, und der Meeresspiegel fiel so tief, dass man ohne Visum nach Britannien wandern konnte. Was auch viele Neandertaler taten. Dann taute das Eis und füllte die Nordsee. Und vor 8.200 Jahren kam es zur norwegischen Lösung: Ein Monster-Tsunami rauschte aus dem Norden durch den Ärmelkanal und schnitt die Insel endgültig vom Festland ab – ein richtig harter Brexit.
Was könnte die Briten jetzt wieder an uns binden? Zum Beispiel eine Eiszeit. Aber um die zu verhindern, pusten wir jedes Jahr 37 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre. Vielleicht leugnen deshalb so viele Brexiteers den Klimawandel: Sie lügen, bekämpfen die Wissenschaft, beleidigen ihre Gegner und verachten jede Form von Regelung und Regierung, egal ob es Europa oder Klima geht. Michael Gove, Lord Nigel Lawson und Boris Johnson sind nicht nur Hardcore-Leavers, sondern auch Feinde des Klimas. Das lohnt sich: Die „Leave“-Kampagne hatte Sponsoren unter den Klimaleugnern. Und Boris Johnson bekommt für eine wöchentliche Kolumne im Telegraph im Jahr 275.000 Pfund.
275.000 Pfund: 322.000 Euro. Für eine wöchentliche Kolumne. Ich weiß gar nicht, warum ich mich hier mit der Hälfte zufrieden gebe.
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