: Lex Bauwagen
Für gewisse Hamburger ist das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zum seltenen Gut geworden
Wer bei Polizeibeamten einen echten Heiterkeitserfolg erzielen möchte, sollte versuchen, bei der Hamburger Versammlungsbehörde eine Demo mit 20 Bauwagen über die Mönckebergstraße anzumelden. Wenn man Glück hat, darf man mit zwei Wagen über menschenleere Seitenstraßen immerhin aus der City hinausdemonstrieren. Falls man eher den Nervenkitzel liebt, kann man sich mit Gleichgesinnten und ein paar Bauwagen zu einer Spontanversammlung vor der Roten Flora treffen. Das Eintreffen von Hundertschaften der Bereitschaftspolizei binnen Minuten ist so sicher wie das von Wasserwerfern und Räumpanzern.
Fakt ist: Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist für Bewohner und Unterstützer von Wagenplätzen in Hamburg zu einem seltenen Gut geworden. Die gesetzlich garantierte Gestaltungsfreiheit von Ort, Zeitpunkt und Dauer einer Versammlung existiert in Hamburg nur theoretisch. Praktisch werden mit ausufernden Gewaltprognosen der Polizei beschränkende Auflagen formuliert, die im Wesentlichen der polizeilichen Gestaltungsfreiheit des Demonstrationsverlaufs dienen. Damit hat die Versammlungsbehörde beispielsweise über zwei Jahre phantasievoll jede Innenstadtdemo zum Thema Bauwagenproblematik verhindert.
Aber auch die polizeitaktischen Maßnahmen während der Demonstration weichen von den Standards ab, wie sie unter anderem das Bundesverfassungsgericht formuliert hat. Die bereits 1985 im „Brokdorf-Urteil“ höchstrichterlich benannten Eckpunkte der vertrauensvollen Kooperation, der Deeskalation und des zurückhaltenden Agierens der Polizei zur Vermeidung von „psychischen“ Barrieren zwischen Versammlung und Öffentlichkeit zeichnen sich in Hamburg durch ihre Abwesenheit beim polizeilichen Handeln aus.
Hier heißt Kooperation, dass der Versammlungsleiter vorauseilend und widerspruchslos polizeiliche Verfügungen umsetzt, will er nicht riskieren, dass die Versammlung aufgelöst wird. Und Deeskalation bedeutet dann, Demos mit einem zweireihigen Polizeispalier in voller Kampfmontur zu begleiten. Eigentlich gehören solche Wanderkessel zur letzten Maßnahme der polizeilichen Gefahrenabwehr, die lediglich einer unmittelbar drohenden Auflösung der Versammlung vorausgehen sollte.
Beunruhigend ist, dass sich diese Einschränkungen des Versammlungsrechts in letzter Zeit auf andere Politikfelder ausgedehnt haben. Die Studierendenproteste im Frühsommer und die Demonstrationen gegen den Umbau des Wasserturms im Schanzenpark sahen sich ebenso diesen Auswüchsen hamburgischer polizeilicher Demonstrationskultur ausgesetzt.
Dass Gerichte diesem Treiben Einhalt gebieten, ist aktuell leider nicht zu erwarten. Erst vorletzte Woche verurteilte ein Hamburger Gericht Teilnehmer einer Bauwagendemo wegen Nötigung. Die Versammlung sei lediglich Ausdruck von partikularen Interessen gewesen, die durch das Versammlungsrecht nicht gedeckt seien. Andreas Blechschmidt
Der Autor hat in der Vergangenheit zahlreiche Demonstrationen in Hamburg als Anmelder und Leiter begleitet